Wasserstoff

Wer liefert Deutschland grünen Wasserstoff?

Die Nationale Wasserstoffstrategie Deutschlands ist sehr ambitioniert, ohne Importe wird es nicht gehen. Doch wer liefert grünen Wasserstoff und Derivate nach Deutschland – angesichts eines weltweit rasant wachsenden Bedarfs und bislang geringer Infrastruktur?

Wer liefert Deutschland grünen Wasserstoff?

Foto: Adobe Stock

Erst im Juli dieses Jahres setzte das Bundeswirtschaftsministerium die Messlatte noch einmal höher. Laut „Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie“ sollen mindestens 10 GW Elektrolyse-Kapazitäten aufgebaut sein. „Das bedeutet einen Bedarf von 40 TWh grünem Strom“, rechnet Graham Weale von der Ruhr-Universität Bochum vor. Da aber Deutschland selbst unter anderem durch begrenzte Flächen für Windenergie, Schwierigkeiten in der Lieferkette und Fachkräftemangel im Ausbau der erneuerbaren Energien ausgebremst wird, dürfte laut Weale auf absehbare Zeit hierzulande weniger erneuerbare Energie produziert werden können, als benötigt wird. 

„Deutschland ist als dicht besiedeltes Industrieland und auch im internationalen Vergleich nicht der beste Standort für erneuerbare Energie“

Prof. Dr. Christian Küchen, Hauptgeschäftsführer von en2x

Hinzu kommt, dass der knappe grüne Strom zukünftig nicht nur den heutigen Kohlestrom ersetzen, sondern auch den wachsenden Bedarf der Industrie, E-Mobilität und Wärmepumpen für die Gebäudebeheizung abdecken muss. Grünstromimporte aus europäischen Ländern seien zudem begrenzt, da diese selbst grünen Strom für ihre eigenen nationalen Klimaziele benötigen. Offenbar ist daher der direkte Import von erneuerbaren Energieträgern und Rohstoffen, beispielsweise in Form von Wasserstoff oder grünem Ammoniak, sinnvoller. Nur: Woher bekommt Deutschland (und Europa) grünen H2 und Derivate?

Ambitionierte Wasserstoff-Strategie

Die gute Nachricht: „Erneuerbare Energien sind unbegrenzt verfügbar“, betont Prof. Dr. Robert Schlögl, Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung. „Doch die Dimension der Herausforderung ist enorm. Das gesamte bestehende globale Energiesystem lässt sich nicht einfach binnen zwei Jahrzehnten drehen. Schließlich dürfen wir auch die ökonomischen Realitäten nicht ignorieren. Darum sollten wir möglichst pragmatisch an Lösungen arbeiten, ohne in der Anstrengung selbst nachzulassen“, fordert der Chemiker. 37 Staaten weltweit haben bereits eine eigene Wasserstoff-Strategie verabschiedet, berichtet Dr. Uwe Franke, Präsident des Weltenergierats Deutschland. Darunter sind zahlreiche Industrieländer wie Großbritannien oder Frankreich mit einem hohen Energiebedarf, aber auch Australien, die Vereinten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien und Oman, Chile und Marokko, die das Potential für Wasserstoffexporte haben.

Die schlechte Nachricht: Diese Länder verfügen noch nicht über eine entsprechende Infrastruktur, um die Produktion grünen Wasserstoffs rasch hochfahren zu können – Deutschland eingeschlossen. Zwar gibt es in China beispielsweise eine umfangreiche Wasserstoff-Infrastruktur, auch bestehen in zahlreichen anderen Ländern grundlegende Anlagen beispielsweise zur Ammoniak-Herstellung. Doch diese Infrastruktur ist bislang vor allem auf grauen Wasserstoff ausgerichtet und längst nicht vorbereitet auf das Volumen, das in Zukunft benötigt wird. Detlev Markus von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) rechnet vor: Weltweit wurden 2021 75 Megatonnen (Mt) Wasserstoff im Jahr produziert, weitere 45 Mt kamen als Nebenprodukte hinzu. Knapp die Hälfte wurde „grau“ aus Erdgas hergestellt, die andere knappe Hälfte wurde mit Kohle und Erdöl produziert. Lediglich 1 Prozent Wasserstoff wurden mit erneuerbaren Energien erzeugt. Zum Vergleich: 2022 produzierte Deutschland rund 0,345 Mt Wasserstoff (3.838 Millionen Kubikmeter).

Neue Partner

2050 werden weltweit aber schätzungsweise 500 bis 800 Mt Wasserstoff pro Jahr benötigt. Ein Großteil der Wasserstoffnachfrage konzentriert sich dabei auf Nordamerika, Europa und Ostasien. Die Herstellung ist jedoch besonders dort sinnvoll, wo viel Sonne, Wind und Wasser vorhanden sind – also in anderen Teilen der Erde. 400 Mt müssen daher, berichtet Markus, im Jahr 2050 über weite Distanzen transportiert werden. Damit das funktioniert, werden Billionen-Dollar-Investitionen notwendig sein, vom Ausbau erneuerbarer Energien über die Elektrolyse bis zur Transportinfrastruktur per Pipeline oder Schiff. Die Frage lautet daher: Welchem Land, das erneuerbare Energien im Überfluss hat, wird es wie rasch gelingen, die benötigten Kapazitäten aufzubauen?

Die deutsche Regierung weiß, dass mindestens Zwei Drittel des grünen Wasserstoffs importiert werden müssen und eine Abhängigkeit von Energieimporten auch nach dem Ende fossiler Energieträger notwendig sein wird. Damit einseitige Abhängigkeiten wie beim russischen Erdgas oder OPEC-Mineralöl gar nicht erst entstehen können, ist Deutschland bereits mit rund 20 Ländern Wasserstoff-Partnerschaften eingegangen oder im Dialog darüber, darunter Angola, Australien, Chile, Kanada, Kasachstan und Vietnam. „Uns ist an einem schnellen Markthochlauf und sicherer Energieversorgung sehr gelegen“, sagt beispielsweise Dr. Holger Klinzing vom Auswärtigen Amt. Dennoch macht er auch deutlich, dass „Wertepartner“ bevorzugt werden. Einen automatischen Ausschluss von Ländern wie Kasachstan, die beispielsweise nicht europäischen Demokratiestandards genügen, bedeute das aber nicht – „solange Mindeststandards erfüllt werden.“

Außerdem achte die Bundesregierung auch darauf, dass nicht nur Umweltaspekte, sondern auch soziale Kriterien beim Aufbau eines neuen Importnetzes berücksichtigt werden. Dazu gehöre auch, sicherzustellen, dass die Bevölkerung vor Ort ebenso von der grün produzierten Energie profitiere und beispielsweise die eigene Energieversorgung verbessert werde. Klinzing berichtet: „Das Interesse an uns als Energie-Handelspartner ist in vielen Ländern groß.“

Die Konkurrenz ist groß

Angesichts der zahlreichen Unsicherheiten bei den umfassenden Investitionen (siehe Artikel: Diskussionsrunde) dürften bis auf Weiteres politisch und wirtschaftlich stabile Staaten im Fokus der Investoren stehen. Doch auch diese haben erst einmal nur begrenzte Kapazitäten. Aber eine große Nachfrage aus unterschiedlichsten Staaten. Christian Küchen von en2x gibt daher zu bedenken: „Wer Wasserstoff exportieren kann, hat die Auswahl, an wen er verkauft. Und da hat Europa mit seinen hohen regulatorischen Anforderungen, wann grüner Wasserstoff wirklich grün ist, nicht automatisch die besten Chancen.“ (Mehr zu Regulierung siehe Artikel 3). Robert Schlögl plädiert daher auch dafür, „die Diskussion um die Farbenlehre beim Wasserstoff erst einmal zu stoppen“.

Andere Nachfrageländer wie Japan oder Korea sind heute deutlich kompromissbereiter. Das reduziert auch die Herstellkosten für die Exporteure, was wieder die Abnahme erleichtert. In anderen Fällen könnten sich Nicht-EU-Staaten auch auf den Handel von blauem Wasserstoff einigen: Wasserstoff aus Erdgas, deren CO2-Emissionen mit sogenannter Carbon Capture and Storage (CCS)-Technologie wieder „eingefangen“ werden und nicht die Atmosphäre belasten. Es ist daher längst nicht sicher, ob Deutschland und Europa ausreichend zum Zuge kommen. Dann wäre der hohe Anspruch an die Lieferanten grünen Wasserstoffs kontraproduktiv, die deutliche Reduktion von Treibhausgasen in Gefahr. Humboldt-Stiftungspräsident Schlögl, zudem Vizepräsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, warnt daher auch: „Die Technologie ist im Grund vorhanden, jetzt geht es um den raschen Ausbau – da sollten wir uns mit unserem Hang zum Perfektionismus nicht selbst im Wege stehen.“ 

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