Klimaziele

Europas hohe Zertifizierungshürden

Um die ambitionierten Klimaziele zu erreichen, ist Europa auf klimaneutral produzierten Wasserstoff angewiesen. Doch die Definition für „grünen“ Wasserstoff ist anspruchsvoll und könnte Exporteure abschrecken.

Europas hohe Zertifizierungshürden

Foto: Adobe Stock

„Nur wenige Länder erfüllen die EU-Kriterien für grünen Wasserstoff und Derivate“, sagt Marcos Marquez von HIF EMEA. HIF ist weltweit führend im Bereich von E-Fuels, produziert bereits in Chile. Derzeit, so Chief Business Development Officer Marquez, würden diese E-Fuels aber nicht in der EU als grün anerkannt werden – und das gelte auch für etliche andere Herkunftsländer. „Wir werden aber nicht alles selbst an Kapazitäten aufbauen können in Europa“. Die EU solle sich daher auf den Export von Klimatechnologien konzentrieren. Das eröffne neue Chancen auch für Europas Unternehmen und verbessere die Energieversorgungssicherheit. 

Die EU will die CO-Emissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent senken. Dazu werden auch konkrete Vorgaben zur Verwendung von klimafreundlichen Alternativen fossiler Energieträger gemacht. Dabei sollen zum Beispiel Kraftstoffe nichtbiologischen Ursprungs (sogenannte RFNBOs) bis 2030 europaweit insgesamt mindestens 1 Prozent aller Kraftstoffe ausmachen. Wann diese RFNBOs, also Wasserstoff und seine Folgeprodukte, als grün gelten können, legt die Erneuerbare-Energien-Richtlinie RED II fest.

Für die synthetische Herstellung der Kraftstoffe – es handelt sich in der Regel um Kohlenwasserstoffe – benötigt man nicht nur grünen Wasserstoff, sondern ebenfalls erneuerbaren Kohlenstoff aus CO, das ebenfalls durch die RED II reguliert ist. Damit der Kraftstoff insgesamt klimaneutral ist, braucht es geschlossene Kohlenstoffkreisläufe: Bei der Produktion der Fuels wird diejenige Menge CO aus den Abgasen oder aus der Luft gefiltert, die später bei deren Verbrennung wieder frei wird. Angesichts vieler konzentrierter CO-Emissionsquellen in der Industrie ist eine Nutzung dieses CO2 deutlich effizienter, als CO aus der Luft zu filtern. Denn in der Luft ist CO nur sehr gering konzentriert, der Energieaufwand für die Filterung entsprechend hoch. Voraussetzung dafür ist jedoch ein „effektives CO-Bepreisungssystem“, wie es in den EU-Staaten bereits existiert. Doch viele Lieferländer können diese Bedingung nicht erfüllen – weil sie (noch) kein entsprechendes CO-Bepreisungssystem eingeführt haben.

Mit Herkunfts- und Nachhaltigkeitsnachweisen müssen die Hersteller grüner Moleküle belegen, dass sie sich an die Vorgaben von RED II halten. Das gilt sowohl für innerhalb der EU hergestellten grünen Wasserstoff und seine Folgeprodukte als auch für Importe in die EU. Doch der Zertifizierungsprozess ist komplex. Für die Nachhaltigkeitszertifizierung gibt RED II nur den regulatorischen Rahmen vor. Die konkretere Ausgestaltung erfolgt durch anerkannte Zertifizierungssysteme („Voluntary Schemes“) wie zum Beispiel ISCC. Ob die ISCC-Kriterien erfüllt werden, wird durch einen Auditor wie TÜV geprüft. Die Marktteilnehmer registrieren in einem nationalen Register die Produktionsmengen, bis schließlich die Zertifikate durch die Unionsdatenbank ausgestellt werden. Doch diese Unionsdatenbank ist noch nicht einsatzbereit.

Vorteil globaler Standards

Friederike Altgelt, bei der Deutschen Energie-Agentur (dena) für Wasserstoff-Märkte und Regulierung zuständig, wünscht sich mehr Harmonisierung bestehender Regulierungen und Förderinstrumente für Wasserstoff. „RED II in der EU, Low Carbon Hydrogen Standard in Großbritannien, Clean Hydrogen Production Tax Credit in den USA oder H2Global weltweit setzen andere Schwerpunkte und Anforderungen.“ So wird teils nur Wasserstoff (ohne Derivate) geregelt, werden unterschiedliche Bereiche der gesamten Wertschöpfungskette erfasst oder setzen andere Treibhausgas-Schwellenwerte gesetzt. Das macht es für internationale Wasserstoff-Produzenten aufwendig, die weltweit Kunden mit unterschiedlichen Zertifizierungs- und Förderanforderungen bedienen könnten. Immerhin: Unterschiedliche Akteure wie die Internationale Energie-Agentur arbeiten an globalen Regelungen zur Emissionsbilanzierung. „Das ist dringend notwendig“, betont Prof. Dr. Christian Küchen von en2x. „Wir benötigen ein globales Level-Playing-Field mit vergleichbaren Anforderungen in allen Zertifizierungssystemen.“ Weltweit werden Kapazitäten zur Produktion grünen Wasserstoffs und seiner Derivate schneller aufgebaut, wenn die Investoren ein verlässliches, einheitliches Zertifizierungssystem haben. Sonst besteht für Europa das Risiko, dass andere Regionen mit geringeren Zertifizierungsanforderungen eher zum Zuge kommen. Dann wird es schwer, die EU-Klimaziele und Vorgaben zur Emissionsreduzierung umzusetzen.

Die Süddeutsche Zeitung ist weder für den Inhalt der Anzeige noch die darin enthaltenen Verlinkungen noch für ggf. angegebene Produkte verantwortlich.

Das könnte Sie auch interessieren

  • Welthandel mit klimaneutraler Energie – eine globale Win-win-Situation
    Energiewende

    Deutschland soll bis 2045 klimaneutral werden – aber wie?

  • Energie ist mehr als Strom
    Disskusionsrunde

    Der Anteil fossiler Energieträger am Gesamtenergieverbrauch soll in den kommenden Jahren sinken. Welche Schritte dazu notwendig sind, um dieses Ziel auch zu erreichen, diskutierte eine Runde erfahrener Energie-Markt-Spezialisten.

  • Wer liefert Deutschland grünen Wasserstoff?
    Wasserstoff

    Die Nationale Wasserstoffstrategie Deutschlands ist sehr ambitioniert, ohne Importe wird es nicht gehen. Doch wer liefert grünen Wasserstoff und Derivate nach Deutschland – angesichts eines weltweit rasant wachsenden Bedarfs und bislang geringer Infrastruktur?