Interview mit Prof. Dr. Christian Küchen, Hauptgeschäftsführer en2x

Klimaschutz: „Nötig sind Investitionen im großen Stil“

Statt wie derzeit vor allem Ausstiegsdebatten im Energiesektor zu führen, ist es dringend erforderlich, in neue Technologien einzusteigen, sollen die Pariser Klimaziele in Deutschland erreicht werden. Darauf weist Prof. Dr. Christian Küchen, Hauptgeschäftsführer des en2x – Wirtschaftsverbands Fuels und Energie, hin.

Klimaschutz: „Nötig sind Investitionen im großen Stil“

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Wichtig sei es jetzt, passende Rahmenbedingungen zu schaffen, die notwendige Investitionen in verschiedene klimaschonende Technologien auslösen.

Herr Professor Küchen, ausgerechnet die Mineralölwirtschaft kritisiert die Klimaschutzpolitik der Bundesregierung. Das klingt nach verkehrter Welt. Ist es zum Beispiel nicht sinnvoll, dass die E-Mobilität in Deutschland immer mehr an Bedeutung gewinnt?

 

Prof. Dr. Küchen: Das ist absolut sinnvoll. Unsere Mitgliedsunternehmen unterstützen den Hochlauf der Elektromobilität längst von sich aus und schreiten beim Ausbau der Ladeinfrastruktur voran. Der Fokus liegt derzeit auf Schnellladestationen, nicht nur an Tankstellen. Die heutige Mineralölwirtschaft in Deutschland entspricht längst nicht den Klischees, die gern gezeichnet werden. Der Wandel hat längst begonnen. Ererfordertaber enorme Investitionen in neue Technologien und Geschäftsmodelle. Dafür sind wiederum verlässliche und zugleich unterstützende Rahmenbedingungen notwendig.

Werden also aus Tankstellenketten künftig Stromanbieter?

Küchen: Zur wirksamen und schnellen Senkung der Treibhausgasemissionen sind unterschiedliche Lösungen erforderlich. Der Einsatz von Strom aus erneuerbaren Energien wird dabei eine deutlich wachsende Rolle spielen. Aber ebenso werden alternative Kraftstoffe und Wasserstoff benötigt. Daher setzen unsere Mitgliedsunternehmen auf eine Vielfalt von Optionen – heute und in der Zukunft. Dabei stehen die Unternehmen der Branche für eine hohe Versorgungssicherheit in Bezug auf Energie und Rohstoffe. Erneuerbarer Strom aus heimischen Quellen wird allein auch künftig bei Weitem nicht ausreichen, um die Energieversorgung Deutschlands zu sichern.

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Warum nicht?

 

Küchen: Derzeit führen wir in Deutschland rund 70 Prozent der benötigten Energie aus anderen Ländern ein. Und Strom macht derzeit nur gut 20 Prozent unseres Energieverbrauchs aus, davon rund die Hälfte aus erneuerbaren Quellen. Das heißt: Nur 10 Prozent des Endenergiebedarfs wird heute durch heimischen „grünen“ Strom gedeckt. Auch mit einem massiven Ausbau von Wind- und Solaranlagen werden wir trotz zu erwartender Effizienzsteigerungen künftig nicht autark werden. Wir werden darum zur Erreichung der Klimaziele erneuerbare Energie importieren müssen und dabei auch langfristig erhebliche Mengen an Wasserstoff und Kohlenwasserstoffen brauchen. Denn in vielen Anwendungsbereichen ist der direkte Einsatz erneuerbaren Stroms keine geeignete oder sinnvolle Lösung, um fossiles Öl oder Gas zu substituieren. So wird fast ein Viertel der heutigen Mineralölproduktion nicht verbrannt, sondern z. B. als Vorprodukt für die chemische Industrie oder als Schmierstoff genutzt, Luftverkehr und Schifffahrt stehen für weitere rund zehn Prozent. Auch dort werden zwingend grüne Moleküle gebraucht, um die Klimaziele zu erreichen. Selbst im Straßenverkehr und Wärmebereich, die auch bei einem erheblichen Ökostromausbau voraussichtlich nicht vollständig elektrifiziert werden können, sind grüne Moleküle als Ergänzung erforderlich.

en2x – Küchen

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Also E-Fuels statt E-Mobilität?

 

Küchen: Nein: „Elektronen versus Moleküle“ ist eine kontraproduktive Debatte, denn wir werden schlichtweg beides in großen Mengen benötigen. Grüne Moleküle – wie etwa Wasserstoff, Ammoniak, E-Fuels oder fortschrittliche Biofuels – werden nicht dazu dienen, die Elektrifizierung auszubremsen. Es geht darum, zusätzlich zur Elektrifizierung, heute noch fossile Energie zu ersetzen. Gerade weil erneuerbarer Strom in Deutschland ein knappes Gut bleiben wird, werden wir CO-neutralen Wasserstoff und daraus hergestellte Folgeprodukte importieren müssen. Darum sollten entsprechende Importstrategien konsequent weiterentwickelt und massiv ausgebaut werden.

Ist aber der direkte Einsatz von Strom in Batterien nicht effizienter als die Umwandlung von Strom in Wasserstoff oder E-Fuels?

 

Küchen: Wenn ich eine begrenzte Strommenge in Deutschland habe und immer die Wahl hätte, diesen Strom zur Herstellung von E-Fuels oder zum Laden eines Elektroautos einzusetzen, dann spricht viel dafür, die effizientere Nutzung im E-Auto zu bevorzugen. Alle Experten gehen aber davon aus, dass E-Fuels zukünftig vor allem in Ländern hergestellt werden, in denen pro Windrad oder Solaranlage ein viel höherer Energieertrag erzielt werden kann. Den Strom aus diesen Anlagen kann ich aber überhaupt nicht in einem E-Auto in Deutschland nutzen. Insofern ist in diesem Fall der rein technische Effizienzvergleich eines Batterie-Elektro-Fahrzeugs mit einem Fahrzeug mit Verbrennungsmotor und E-Fuels in keiner Weise sinnvoll, da die Option des E-Autos für diesen Strom nicht existiert. Es geht nicht darum, grünen Strom umzuwandeln, anstatt ihn direkt zu nutzen, sondern darum, grünen Strom in umgewandelter Form zu importieren, der hierzulande ansonsten für uns gar nicht nutzbar wäre. Die Blicke sollten sich daher vor allem auf die jeweilige Systemeffizienz richten. Beispielsweise ist der Energietransport in Form von Ammoniak oder Methanol auch über lange Distanzen hocheffizient.

Kritische Stimmen wenden ein, dass die Herausforderungen der Energiewende so auf andere Länder abgewälzt werden könnte…

 

Küchen: Dass ein globaler Markt für grüne Moleküle eine Win-win-Situation für die beteiligten Länder werden kann, haben Studien gezeigt. Ebenso dass es für Erzeugerländer mit günstigen Bedingungen möglich wäre, sich selbst zu versorgenund grüne Moleküle zu exportieren. Für viele Staaten ergeben sich so attraktive wirtschaftliche Perspektiven. Das gilt ebenso für Länder, die bislang vom Export fossiler Ressourcen profitieren. Auch diese Staaten brauchen eine Perspektive für das postfossile Zeitalter, um Kohle, Öl und Gas künftig im Boden lassen zu können.

Prof. Dr. Christian Küchen, Hauptgeschäftsführer en2x. Foto: en2x

Bislang ist die Menge grüner Moleküle, die für die Nutzung zur Verfügung steht, überschaubar. Was muss geschehen, um das zu ändern? Wäre es nicht sinnvoll, erneuerbare Fuels vor allem dort einzusetzen, wo es keine Alternativen gibt?

 

Küchen: Wir müssen zunächst den ersten Schritt machen und für ein großes Angebot an treibhausgasneutralen Molekülen sorgen. Und nicht versuchen, etwas für bestimmte Sektoren zu reservieren, was es – wie Sie richtig feststellen – derzeit nur in sehr geringem Umfang gibt. Nötig sind Investitionen im großen Stil. Dafür ist es wichtig, die Einsatzbereiche gerade nicht von vornherein einzuschränken. Im Gegenteil: Je mehr Absatzmöglichkeiten bestehen, desto geringer ist das Risiko für Investoren und umso mehr Investitionen werden wir sehen. Auch aus technologischer Sicht ist die Beschränkung auf wenige Anwendungen nicht sinnvoll. Bei vielen Produktionsprozessen zur Herstellung von E-Fuels entsteht technisch bedingt eine Vielzahl verschiedener Moleküle, die z. B. nicht alle in der Luftfahrt einsetzbar sind. Und natürlich können diese Kraft- oder Brennstoffe auch im Straßenverkehr und Gebäudebereich zur Emissionsminderung beitragen.

 

Im Flugverkehr sind Quoten für den Einsatz erneuerbarer Treibstoffe vorgesehen. Ist das nicht ein Anreiz?

 

Küchen: Das ist ein Anfang, doch die Festlegung von Quoten für die Beimischung von erneuerbarem Flugkraftstoff reicht allein nicht aus. Dazu gehören auch klare Bedingungen, wie die Quoten im Detail erfüllt werden können. Da sind noch zahlreiche Details offen. Darüber hinaus sind Quoten als Hauptinstrument beim Markthochlauf neuer Technologien nicht besonders gut geeignet. Denn die ersten größeren Produktionsanlagen für synthetisches Kerosin werden voraussichtlich teurer sein als die folgenden. Zumindest für die ersten Anlagen werden daher zusätzliche Fördermaßnahmen erforderlich sein.

 

Und in anderen Einsatzbereichen?

 

Küchen: Grundvoraussetzung ist, dass die Nutzung erneuerbarer Fuels als Klimaschutzoption genauso unterstützt wird wie andere Klimaschutzoptionen. Wir müssen wegkommen vom „Entweder-oder“-Denken, hin zu einem „Sowohl-als-auch“. Nehmen Sie den Pkw-Bereich: Um dem Hochlauf der E-Mobilität gerecht zu werden, ist es notwendig, die Ladeinfrastruktur zu verbessern. Auch da sind die Rahmenbedingungen noch nicht ideal. Das betrifft etwa langwierige Ausschreibungen von Flächen, fehlende Netzanschlüsse, zähe Genehmigungsprozesse und umständliche Förderprogramme. Zugleich sollte aber mit derselben Intensität, mit der wie die E-Mobilität fördern, der Aufbau von Produktionskapazitäten für alternative Kraftstoffe vorangetrieben werden. Denn trotz der erfreulichen Zunahme des Anteils der E-Autos bei den Neuzulassungen im vergangenen Jahr darf nicht übersehen werden, dass über 80 Prozent der Neufahrzeuge 2022 einen Verbrennungsmotor hatten. Diese Pkws, von denen die meisten auch nach 2035 noch in Betrieb sein dürften, benötigen immer größere Anteile erneuerbarer Kraftstoffe. Sinnvoll und auf jeden Fall erforderlich ist dafür ein klares, langfristig verlässliches CO2-Preissignal, um grüne Moleküle schnell wettbewerbsfähig zu machen.

 

Wie könnte dieses Signal aussehen?

 

Küchen: Seit 2021 liegt zum Beispiel ein Vorschlag der EU-Kommission zur Änderung der Kraftstoffbesteuerung auf dem Tisch. Nach diesem Vorschlag würden rein fossile Kraftstoffe tendenziell höher und insbesondere nachhaltige Biokraftstoffe und E-Fuels deutlich niedriger als heute besteuert. Ein solches Preissignal wäre für Investoren ähnlich leicht verständlich wie die aktuelle Förderung solcher Kraftstoffe oder von Wasserstoff in den USA durch den Inflation Reduction Act. Die EU und die Bundesregierung wären gut beraten, ein solches Signal schnell zu senden.

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