Nachhaltiger Umbau der fossilen Wirtschaft

Von der Raffinerie zum Wasserstoff-Produzenten

Es ist eine Art Generationenvertrag für das Klima: Bis 2045, so hat es die Bundesregierung beschlossen, soll Deutschland praktisch treibhausgasneutral sein.

Von der Raffinerie zum Wasserstoff-Produzenten

Foto: Raffinerie Heide

Ein mehr als ehrgeiziges Ziel. Denn absehbar ist: Es wird hierzulande bis dahin nicht genügend Energie aus erneuerbaren Quellen geben. Das heißt, es droht eine Versorgungslücke zwischen unserem Energiebedarf und der verfügbaren erneuerbaren Energie.

Wie kann diese Lücke geschlossen werden? Dafür brauchen wir eine Vielzahl an Lösungen, eine Menge Innovationswillen und die passenden Rahmenbedingungen.

Die Energieunternehmen der heutigen Mineralölwirtschaft sichern derzeit einen großen Teil der heutigen Energieversorgung Deutschlands. Zudem liefern sie erhebliche Mengen an Rohstoffen, vor allem für die chemische Industrie. Um auf treibhausgasneutrale Energieträger und Rohstoffe umsteigen zu können, ist ein gewaltiger Transformationsprozess notwendig, den die Branche vorantreiben und mitgestalten will. Mit einer Vielfalt von Fuels und Energie, anspruchsvoller Technologie und wegweisenden Innovationen können die betroffenen Unternehmen dabei Schlüsselbeiträge für diesen Wandel liefern.

So investieren die Unternehmen in den Ausbau der Ladeinfrastruktur direktelektrische Anwendungen in der Straßenmobilität, die zunehmend wichtiger werden. Auch die Produktion, Nutzung und Infrastruktur von Wasserstoff hat eine große Bedeutung. Einen Beitrag zum Erreichen der Klimaziele werden den derzeitigen Zukunftsszenarien entsprechend auch sogenannte Future Fuels leisten, also klimaneutrale, synthetisch hergestellte Energieträger, die das Potential haben, fossile Kraft- und Brennstoffe nach und nach zu ersetzen. Es gibt Bereiche, in denen alternative Kraftstoffe wie grüner Wasserstoff und dessen Folgeprodukte, also E-Fuels oder fortschrittliche Biofuels, auch auf längere Sicht unverzichtbar erscheinen, zum Beispiel im Flug- oder Schiffsverkehr. Denn eine Elektrifizierung von Flugzeug- oder großen Schiffsmotoren wird in absehbarer Zukunft voraussichtlich nicht möglich sein.

Die Technologie im Bereich der Future Fuels ist schon weit fortgeschritten. Das liegt nicht zuletzt an der Innovationskraft der heutigen Mineralölunternehmen. Sie verfügen nicht nur über die Erfahrung und Kompetenz, sondern auch über die Infrastruktur, um Future Fuels zu produzieren und flächendeckend zu verbreiten. Zu ihren Initiativen gehören eigene Pilotprojekte an den heutigen Raffineriestandorten genauso wie branchenübergreifende Partnerschaften im In- und Ausland. Hier einige Beispiele:

SHELL: Fossile Kraftstoffe auf dem Rückzug

Shell hat das Ziel, bis 2050 oder sogar früher zum Netto-null-Emissions-Unternehmen zu werden. Dazu unternimmt der britisch-niederländische Energiekonzern einen schrittweisen Strategieschwenk in Richtung erneuerbare Energie, Wasserstoff und E-Mobilität. Auch in Deutschland ist die Transformation bereits in vollem Gange. Eine Schlüsselrolle nimmt dabei die ehemalige Rheinland-Raffinerie ein: Sie wird schrittweise in einen kohlenstoffarmen Energie- und Chemiepark umgewandelt. Fossile Produkte sollen mehr und mehr synthetischen und biobasierten Produkten sowie grünem Wasserstoff weichen.

Die ehemalige Rheinland-Raffinerie wird schrittweise in einen kohlenstoffarmen Energie- und Chemiepark umgewandelt. Fossile Kraftstoffe sollen mehr und mehr synthetischen und Biokraftstoffen sowie grünem Wasserstoff weichen. Foto: Shell

Im Sommer 2019 startete die Shell Deutschland GmbH in einem europäischen Konsortium mit dem Bau der aktuell weltweit größten PEM-Wasserstoff-Elektrolyse im Werksteil Köln/Wesseling. Die Anlage „Refhyne“ ist im Sommer 2021 in Betrieb gegangen und soll vor 2025 ihre Kapazität von anfangs zehn auf 100 Megawatt erweitern. Geplant ist zudem eine Biomasse-Power-to-Liquid-Anlage – kurz Bio-PtL – zur Herstellung von nachhaltigen Flugkraftstoffen und CO-armem Rohbenzin. Darüber hinaus soll ein Energy Campus entstehen, wo auch externe Forschungseinrichtungen, Unternehmen und Start-ups die Forschung und Entwicklung von Energiewende-Technologien vorantreiben können.

TOTALENERGIES: Synthetisches Kerosin aus Leuna

Total Energies stellt die nachhaltige Entwicklung in den Mittelpunkt und will bis 2050 CO-neutral sein. Die konzerneigene Raffinerie in Leuna soll bis 2030 ihren CO-Fußabdruck signifikant reduzieren. Auf Basis von erneuerbarem Strom, struktureller Sektorenkopplung und innovativen Wertschöpfungsketten wird der Fokus der Raffinerie neu ausgerichtet. Ein Beispiel ist das Fernwärme-Projekt mit den Stadtwerken Leipzig, bei dem Abwärme aus der Raffinerie zum Heizen von Gebäuden genutzt werden kann.

Eine zentrale Rolle spielt grüner Wasserstoff, der unter anderem zur Herstellung von grünem Methanol benötigt wird. Daraus sollen im Rahmen des „Leuna Power2Fuels“-Projekts in dem spezifischen Methanol-to-Jet-Verfahren bis 2030 jährlich circa 120 Kilotonnen synthetische Kraftstoffe für den Flugverkehr produziert werden. Als Kohlenstoffquelle werden Kunststoffabfälle und biogene Rohstoffe geprüft.

BP: Grüner Wasserstoff europaweit

Die BP-Gruppe, zu der in Deutschland neben Raffinerien die Marken Aral und Castrol gehören, will bis zum Jahr 2050 oder früher klimaneutral werden. Neben der Vermeidung aller Treibhausgasemissionen aus Betriebsaktivitäten sowie aus der Öl- und Gasförderung, soll auch die Treibhausgasintensität aller von BP vertriebenen Produkte sinken. Ein wichtiger Baustein ist der Aufbau der Produktion und der Verarbeitung von grünem Wasserstoff, etwa für die CO-Reduktion in der Raffinerieproduktion oder im nächsten Schritt für die Herstellung synthetischer Kraftstoffe für verschiedene Mobilitätsbereiche.

BP plant im Rahmen des Projekts „Lingen Green Hydrogen“ den Bau einer 50-Megawatt-Elektrolyseanlage auf dem Gelände seiner Raffinerie in Lingen im Emsland. Hierfür soll erneuerbarer Strom von Offshore-Windparks in der Nordsee genutzt werden. Die Anlage könnte eine Tonne erneuerbaren Wasserstoff pro Stunde erzeugen, der in der Raffinerie zur Herstellung von treibhausgasreduzierten Kraftstoffen genutzt wird. Rund 20 Prozent des derzeit in der Raffinerie aus fossilem Erdgas erzeugten Wasserstoffs könnten dadurch ersetzt werden. Die Inbetriebnahme ist für 2024 vorgesehen. In einer zweiten Phase könnte die Elektrolyse auf 150 Megawatt erweitert werden.

Zudem beteiligt sich BP gemeinsam mit sechs Partnerunternehmen unter dem Projektnamen GetH2 Nukleus an der Errichtung einer öffentlich zugänglichen, leistungsfähigen Wasserstoffinfrastruktur in Deutschland. In einem länderübergreifenden Wasserstoff-Markt mit den Niederlanden sollen auf deutscher Seite die Erzeugung, der Transport (größtenteils über bestehende Gasleitungen), die Speicherung und die industrielle Abnahme des Wasserstoffs miteinander verbunden werden. Zum Einsatz kommt der Wasserstoff dann unter anderem in Raffinerien und in der Stahlindustrie. Das GetH2-Netz soll zunächst von Lingen im Emsland bis nach Gelsenkirchen – beides BP-Raffineriestandorte – und von der niederländischen Grenze bis nach Salzgitter reichen.

MABANAFT: Grüne Kraftstoffe aus Chile

Endverbraucher und Wirtschaft in Deutschland mit CO-neutralen Kraft- und Brennstoffen zu versorgen – das ist die Idee von Mabanaft, Tochter der Holdinggesellschaft Marquard & Bahls. 2021 hat Mabanaft mit einer Tochterfirma des chilenischen Energieversorgers AME eine Absichtserklärung unterzeichnet. Sie umfasst langfristig den Kauf und Verkauf von jährlich bis zu 500 Millionen Litern synthetischen Kraftstoffen aus Anlagen in der Region de Magallanes im Süden Chiles. Dort will AME mit Partnern aus der Industrie durch die kontinuierliche Nutzung von Windstrom Wasserstoff erzeugen und mit aus der Atmosphäre gewonnenem CO die klimafreundlichen Kraftstoffe zu wettbewerbsfähigen Preisen produzieren.

Mabanaft hat die Absicht, jährlich bis zu 500 Millionen Liter synthetische Kraftstoffe aus Anlagen in der Region de Magallanes im Süden Chiles anzukaufen und weiter zu verkaufen. Foto: ©progat – stock.adobe.com

Zu den Projektpartnern der Wasserstoff-Pilotanlage im chilenischen Haru Oni zählt auch ExxonMobil. In der Startphase will das Unternehmen mindestens 130.000 Liter synthetische Kraftstoffe pro Jahr produzieren: die Esso Renewable Racing Fuels. Hauptabnehmer ist Porsche. Mit den klimaschonenden Kraftstoffen aus Ökostrom lassen sich CO-Emissionen um bis zu 85 Prozent reduzieren und machen damit ein nahezu CO-neutrales Fahren mit Verbrennungsmotoren und Plug-in-Hybriden möglich.

KIT und MiRO-Raffinerie: Regenerative Kraftstoffe für die Mobilität von morgen

Regenerativ hergestellte Kraftstoffe leisten einen wichtigen Beitrag zu einer CO-neutralen Mobilität. Denn gerade Schiffs-, Luft- und Schwerlastverkehr mit ihren langen Strecken und großen Lasten benötigen auch zukünftig flüssige Kraftstoffe. In der Forschungsinitiative „reFuels – Kraftstoffe neu denken“ arbeitet das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) mit 16 Partnern aus Energiewirtschaft, Mineralöl-, Automobil- und Zulieferindustrie unter Schirmherrschaft des Landes Baden-Württemberg an der Bereitstellung und Einführung von reFuels. Zwei Pilotprojekte des KIT lieferten bereits mehrere Tausend Liter dieser Kraftstoffe für Versuchsmotoren. So konnten Syntheseverfahren für reFuels optimiert werden, um Rohemissionen zu reduzieren. Auch in der Karlsruher Mineralölraffinerie Oberrhein (MiRO), an der unter anderem Shell und Esso Deutschland beteiligt sind, wurde eine Demonstrationsanlage zur reFuels-Herstellung konzipiert.

RAFFINERIE HEIDE: Mit Windenergie und innovativen Partnern zu grünen Produkten

An Schleswig-Holsteins Küsten weht viel Wind – die ideale Voraussetzung dafür, mit Windstrom klimafreundlichen Wasserstoff zu erzeugen. Dazu hat die Raffinerie Heide mit weiteren Unternehmen 2020 das vom Bundeswirtschaftsministerium geförderte Projekt WESTKÜSTE100 gestartet. Der speicherbare grüne Wasserstoff soll zur Dekarbonisierung bei Wärme, Verkehr und Industrie von etwa einer Million Tonnen CO pro Jahr beitragen. Zudem erforscht die Raffinerie Heide mit Partnern aus Industrie und Wissenschaft im Projekt KEROSyN100 die Produktion von klimaschonendem Kerosin. Die Herstellung von Luftfahrttreibstoffen aus grünem Wasserstoff mittels Windenergie ist eine vielversprechende Option für mehr Klimaschutz im Luftverkehr.

Die Raffinerie Heide hat mit zahlreichen Partnern 2020 das vom Bundeswirtschaftsministerium geförderte Projekt WESTKÜSTE100 gestartet. Foto: Raffinerie Heide

VARO, ENI und GUNVOR: HyPipe Bavaria

Gunvor mit seiner Raffinerie in Ingolstadt und Varo mit der Bayernoil Raffinerie in Neustadt widmen sich ebenfalls dem Ersatz fossiler durch erneuerbare Energieträger – allen voran Erzeugung und Einsatz von grünem Wasserstoff. So unter anderem im Projekt „HyPipe Bavaria/H2-Cluster Ingolstadt“: Ein Projektkonsortium plant den Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur im Großraum Ingolstadt. Diese soll die Versorgung der beteiligten Industriestandorte und der Region mit Wasserstoff sicherstellen. Auch die Raffinerien von Bayernoil und Gunvor können nachhaltigen Wasserstoff bereits in naher Zukunft einsetzen und würden so die Dekarbonisierung ihrer Produktionsprozesse vorantreiben. Darüber hinaus hat mit Audi auch schon ein potentieller Nutzer den Letter of Intent unterzeichnet. Der Autohersteller hat in der oberbayerischen Stadt seinen Unternehmenssitz und betreibt dort auch seinen größten Produktionsstandort.

Seit Frühjahr 2020 bietet die Tankstellenkette Sprint an verschiedenen Stationen einen klimaschonenden Dieselkraftstoff mit erhöhtem biogenen Anteil an. Foto: Frank Wilde/Sprint Tank GmbH

Grüner Wasserstoff ist zudem in beiden Raffinerien ein wichtiger Baustein für weitere Projekte, die sich mit der Weiterverarbeitung von biobasierten Reststoffen wie Klärschlämmen oder Abfällen aus Industrieprozessen zu hochwertigen klimafreundlichen Fuels beschäftigen.

H&R: Demonstrationsanlage für Power-to-Liquids

Der H&R-Konzern ist Spezialist für Entwicklung und Herstellung chemisch-pharmazeutischer Produkte auf Rohölbasis und verfolgt das Ziel, seine Spezialitätenproduktion auf erneuerbare Rohstoffe und Energien umzustellen. Fossile Rohstoffe sollen nachhaltig reduziert und zunehmend durch biobasierte, synthetisierte und recycelte Rohstoffe ersetzt werden. Bis 2030 sollen 70 Prozent der Produkte auf Basis klimaneutraler Rohstoffe hergestellt werden.

Der Anfang ist gemacht: In einer Power-to-Liquids-Demonstrationsanlage am Standort in Hamburg werden aus grünem Wasserstoff und biogenem CO synthetische Rohwachse und Kraftstoffe hergestellt. Das Demonstrationsprojekt ist weltweit eines der ersten PtL-Konzepte im technischen Maßstab, das sogenannte E-Fuels sowie synthetische Rohwachse liefert und über das Joint-Venture P2X-Europe der beiden Partnerunternehmen Mabanaft und H&R vermarkten wird. Die Power-to-Liquids-Synthese-Technologie, entwickelt vom Karlsruher Technologieunternehmen INERATEC, wird zukünftig rund 200 Tonnen E-Fuels für den Straßen- und Schienenverkehr sowie rund 150 Tonnen Wachse zur Anwendung in der Kosmetik, Pharmazie und Lebensmittelindustrie herstellen. Hierfür wird grüner Wasserstoff aus der 2017 in Betrieb genommenen Elektrolyse-Wasserstoff-Anlage zusammen mit biogenem CO zunächst zu Synthesegas verarbeitet, woraus anschließend synthetische Kohlenwasserstoffe gewonnen werden.

In den nächsten Jahren planen H&R und Mabanaft, den Markthochlauf durch eine Steigerung der Produktionsmengen auf eine kommerzielle Größenordnung durch Projekte der Joint-Venture-Gesellschaft P2X-Europe zu ermöglichen.

Nachhaltige Energie und Rohstoffe sind das Ziel

Die unterschiedlichen Projekte haben eines gemeinsam: Sie beweisen, dass die Mineralölunternehmen, einst vor allem als Betreiber von Ölraffinerien und Tankstellen tätig, mitten in der Transformation stecken. Auch Importeure und Großhändler orientieren sich in Richtung nachhaltige Energie. Sie alle leisten damit ihren Beitrag zum Erreichen der Klimaziele.

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