Klimaneutralität

Klimaschutz braucht Energievielfalt

Die Klimaziele von Paris sind Konsens. Die Bundesregierung hat mit ihrem Vorhaben, bis 2045 klimaneutral zu sein, eine weitere Zielmarke gesetzt.

Klimaschutz braucht Energievielfalt

Für die Umstellung auf eine treibhausgasneutrale Energieversorgung gibt es nicht die eine Lösung, sondern vielfältige Optionen. Foto: en2x

Jetzt kommt es auf die Umsetzung an. Für die ist ein gewaltiger Transformationsprozess notwendig, der Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gleichermaßen betrifft. Die Zukunft von Energieträgern und Rohstoffen muss treibhausgasneutral sein. Dabei können neben grünem Strom auch alternative Kraft- und Brennstoffe entscheidende Beiträge leisten.

Die Umstellung auf eine treibhausgasneutrale Energieversorgung kann nicht von heute auf morgen erfolgen, sondern ist ein laufender Prozess. Neben dem notwendigen Klimaschutz sind dabei auch Nachhaltigkeit, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit wichtige Aspekte, wie nicht zuletzt die Folgen des Ukrainekriegs zeigen. Umso wichtiger ist es, auf vielfältige Optionen zu setzen: Ob grüner Wasserstoff, alternative Kraft- und Brennstoffe, ob neue CO-neutrale Vorprodukte für die chemische Industrie oder die Elektrifizierung industrieller Prozesse bis hin zu Ladestationen für Elektroautos an der Tankstelle oder für zu Hause – es gibt zahlreiche Ansätze, um die Treibhausgasemissionen immer weiter zu reduzieren.

Energieimporte bleiben wichtig

In der Industrie ebenso wie im Verkehrssektor, speziell im Pkw-Bereich, wird der Einsatz von erneuerbarem Strom in Zukunft eine deutlich größere Rolle spielen. In der Wärmeversorgung sehen die Prognosen ähnlich aus: In immer mehr Gebäuden werden strombetriebene Wärmepumpen eingesetzt. Durch diese zunehmende Elektrifizierung wird der Strombedarf stark steigen. Zwar kann durch mehr Effizienz und Verkehrsvermeidung noch viel Energie eingespart werden: Ein deutlich beschleunigter Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung ist hierzulande dennoch notwendig. Dieser Ausbau allein reicht jedoch nicht aus. Mit heimischem Wind- und Sonnenstrom werden auf absehbare Zeit keineswegs alle Energieanwendungen bedient werden können. Deutschland wird darum weiterhin auf Energieimporte angewiesen bleiben.

Derzeit führen wir rund 70 Prozent der Energie, die wir brauchen, aus anderen Ländern ein – heute vor allem in Form von fossilen Rohstoffen und Produkten. Grüner Strom, der in sonnen- und windreichen Regionen erzeugt wird, lässt sich in Form von Elektronen, also über Stromleitungen, nur schwer über weite Strecken transportieren. Besser geeignet sind mit erneuerbarem Strom hergestellte „grüne Moleküle“ wie Wasserstoff und seine Folgeprodukte, die auch über die Weltmeere oder über Kontinente hinweg befördert werden können. Die bereits heute vorhandenen Strukturen der globalen Energieströme lassen sich dafür weitgehend nutzen.

Grüner Wasserstoff für mehr Klimaschutz

Eine wichtige Rolle als Energieträger der Zukunft spielt dabei Wasserstoff. Wird er durch Elektrolyse mit Ökostrom erzeugt, entsteht „grüner“ Wasserstoff. Dieser kann direkt genutzt, in andere Stoffe umgewandelt oder zur Herstellung von Folgeprodukten verwendet werden. So lassen sich sogenannte Future Fuels gewinnen, die sich deutlich einfacher speichern und transportieren lassen als Strom, zumal sie über eine wesentlich höhere Energiedichte verfügen. 

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Der Bau von Elektrolyseanlagen an bestehenden Raffinerie- und Chemiestandorten oder die Biokraftstoffgewinnung aus Reststoffen und Algen sind erste konkrete Schritte in eine treibhausgasneutrale Zukunft. Foto: ©JT Jeeraphun – stock.adobe.com

CO-neutraler Wasserstoff ist somit auch die Basis für sogenannte synthetische Kraft- und Brennstoffe. Dabei handelt es sich, wie bei heute gängigen Produkten wie Benzin, Diesel, Heizöl oder Kerosin, um Kohlenwasserstoffe, die künstlich erzeugt werden, sodass das bislang dafür genutzte Öl im Boden bleiben kann. Dem Auf- und Ausbau der Produktion von CO-neutralem Wasserstoff im industriellen Maßstab kommt daher eine wichtige Rolle zu – in Deutschland und weltweit.Zwar geht bei den notwendigen Umwandlungsprozessen Energie verloren, doch gleichen die genannten Vorteile dieses Manko aus. Die vielfach herangezogene Effizienzvergleiche zum E-Auto sind somit eher irreführend, denn der Sinn der Future Fuels besteht gerade darin, Ökostrom zu nutzen, der hierzulande sonst gar nicht verfügbar wäre.

Klimaneutral durch geschlossenen Kohlenstoffkreislauf

Um auf fossilen Kohlenstoff verzichten zu können, sind die Weiterverarbeitung von Rest- und Abfallstoffen aus anderen Wirtschaftszweigen, aber auch die mögliche Nutzung spezieller Algen von großer Bedeutung. Der Grundgedanke dabei: Die Pflanzen filtern mittels Photosynthese das CO aus der Atmosphäre, nutzen es für ihr Wachstum und binden somit auf „natürliche“ Weise die Menge an CO, die später beim Verbrennungsprozess wieder freigesetzt wird.  Bei der Wahl und dem Anbau dieser Biomasse soll eine Nutzungskonkurrenz mit der Nahrungsmittelproduktion vermieden werden. Das gleiche Prinzip gilt für die Weiterentwicklung von technischen CO-Abscheidungs- und -Nutzungstechnologien. In beiden Fällen wird „bilanziell“ kein zusätzliches CO emittiert: Dann spricht daher auch von „Netto Null CO. Abhängig von den eingesetzten Grundstoffen und Technologien wird von fortschrittlichen Biofuels oder E-Fuels gesprochen. Dazu gehören beispielsweise auch auf Basis von Wasserstoff erzeugtes grünes Methanol und grünes Ammoniak.

Alternative Kraftstoffe in Schifffahrt und Flugverkehr unverzichtbar

Solche alternativen Fuels werden vor allem im Schiffs-, Flug- und Schwerlastverkehr dringend benötigt, um die Klimaziele zu erreichen. Die Schifffahrt allein verursacht zum Beispiel rund drei Prozent der globalen CO-Emissionen – deutlich mehr als die gesamte Industrienation Deutschland. Das liegt daran, dass Schiffe heutzutage hauptsächlich mit fossilen Kraftstoffen wie Schweröl angetrieben werden. Um diese Emissionen zu reduzieren, sind Future Fuels unentbehrlich, denn Stromanschlüsse helfen zwar im Hafen, doch nicht auf hoher See. Als aussichtsreiche Antriebsmittel der Zukunft gelten derzeit etwa grünes Methanol und grünes Ammoniak. Sie könnten gerade die für den Welthandel unentbehrliche Containerschifffahrt klimaschonend gestalten. Technische Experten sind sicher, dass das machbar ist. Wichtig hier wie anderswo: Alternative Fuels sollten nicht nur in neu entwickelten Motoren, sondern auch in bestehender Technik einsetzbar sein. Entsprechende Projekte zur Umsetzung sind bereits im Gang.

Auch in der Luftfahrt könnten synthetische Kraftstoffe eine wichtige Rolle spielen: Fliegen mit Elektromotor wäre nach heutigem Stand der Technik insbesondere auf Langstrecken unmöglich, denn der Akku wäre viel zu schwer. Hier bleibt also Kerosin als flüssiger Kraftstoff notwendig, auch die Direktnutzung von Wasserstoff ist eine Option. Darum gibt es in deutschen Raffinerien bereits konkrete Projekte zur Herstellung nachhaltiger Flugkraftstoffe, sogenannter Sustainable Aviation Fuels (SAF).

Besteht hinsichtlich dieser Einsatzbereiche politisch weitgehend ein Konsens, ist die Verwendung von Future Fuels anderswo noch unklar oder umstritten. Beispiel Schwerlastverkehr: Hier setzen Lkw-Hersteller für die Zukunft sowohl auf Batteriebetrieb als auch auf Wasserstoff. Derzeit dominiert der Dieselantrieb, zudem sind Flüssiggas-(LNG)-Fahrzeuge auf den Straßen unterwegs. Auch diese Lkws hätten durch den Einsatz von Future Fuels eine klimaneutrale Perspektive. Derzeit ist noch nicht absehbar, welche Variante sich durchsetzen wird. Denkbar ist hier auch ein „Sowohl-als-auch“, das heißt unterschiedliche Lösungen für verschiedene Anwendungen.

Zusätzliche Klimaschutz-Option für Pkws und Häuser

Beispiel Pkws: Hier werden in den kommenden Jahren voraussichtlich immer mehr batterieelektrische Fahrzeuge neu zugelassen. Doch selbst wenn hierzulande bis 2030 die laut Koalitionsvertrag der Bundesregierung angestrebten 15 Millionen vollelektrischen Pkws auf unseren Straßen unterwegs sein sollten, werden dann voraussichtlich auch noch mehr als 30 Millionen Pkws mit konventionellem oder Hybrid-Antrieb fahren. Diese Autos einfach zu verschrotten wäre alles andere als nachhaltig. Deswegen muss auch dieser Fahrzeugbestand einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Als Ergänzung zur direkten Elektrifizierung sind daher auch hier alternative Kraftstoffe sinnvoll und notwendig.

Ähnliches gilt für den Gebäudebereich, der hierzulande allein rund ein Viertel der gesamten CO-Emissionen verursacht. Hier will die Bundesregierung künftig einen Anteil von 65 Prozent erneuerbarer Energie beim Einbau neuer Heizungen vorschreiben. Ein Vorhaben, das zuletzt viel Kritik auf sich gezogen hat. Denn die technischen Voraussetzungen von Gebäude zu Gebäude unterschiedlich – ebenso die Lebenssituationen der Eigentümerinnen und Eigentümer. So lässt sich zum Beispiel nicht jedes der deutschlandweit etwa fünf Millionen Häuser mit Ölheizung ohne Weiteres sofort auf eine rein auf zum Beispiel eine elektrische Wärmepumpe umstellen. Vielfach wäre hier ein Brennwertgerät im Betrieb mit Flüssigbrennstoffen aus 65 Prozent erneuerbaren Anteilen aus finanziellen und technischen Gründen im ersten Schritt eine zu bevorzugende Lösung. Idealerweise könnten diese als Hybrid ready gestalteten Anlagen noch zu einem späteren Zeitpunkt durch die Einbindung weiterer erneuerbarer Energie, wie zum Beispiel in Form einer mit eventuell sogar eigenem Solarstrom betriebenen Wärmepumpe ergänzt werden. Der Einsatz des alternativen Brennstoffs stände dann vor allem für Spitzenlasten an kalten Tagen und zur Ergänzung der erneuerbaren Stromversorgung aus dem öffentlichen Netz in sonnen- oder windarmen Zeiten zur Verfügung. Das würde die Versorgungssicherheit erhöhen.  

Wir brauchen alle Lösungen

Es zeigt sich: Für eine treibhausgasneutrale Zukunft ist ein umfassender Transformationsprozess notwendig. Im Wettbewerb um die besten Ideen und Lösungen aus einer Vielfalt an erneuerbaren Energien, alternativen Fuels sowie Rohstoffen, Technologien und Innovationen kann der Wandel gelingen.

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