Energiewende

Welthandel mit klimaneutraler Energie – eine globale Win-win-Situation

Deutschland soll bis 2045 klimaneutral werden – aber wie?

Welthandel mit klimaneutraler Energie – eine globale Win-win-Situation

Weltweit gibt es viele Orte, an denen Windkraft- und Photovoltaikanlagen deutlich effektiver und im größeren Maßstab betrieben werden können als im dicht besiedelten Europa mit seinem zum Teil sehr wechselhaften Wetter. Foto: ©zhu difeng – stock.adobe.com

Noch immer müssen etwa 70 Prozent der hierzulande verbrauchten Energie importiert werden, und der Großteil dieser Importe entfällt heute noch auf fossile Energieträger wie Mineralöl, Erdgas und Steinkohle. Der russische Angriff auf die Ukraine und seine politischen Folgen zeigen zudem, wie wichtig es ist, Klimaschutz,Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit noch stärker zu verknüpfen. Gelingen kann dies durch eine Vielfalt CO-neutraler Produkte. Dafür werden mittelfristig vor allem der massive Ausbau erneuerbarer elektrischer Energie in Deutschland, der Hochlauf eines internationalen Marktes für „grüne Moleküle“ und eine diversere Beschaffungsstruktur bedeutsam sein.

Grüne Moleküle? Dahinter steckt die Idee, erneuerbaren Strom in umgewandelter Form zu importieren, sodass er sich besser speichern und transportieren lässt, beispielsweise als CO-neutraler Wasserstoff oder als synthetischer Kraftstoff. Der weitere Vorteil dabei: Für die Ökostromerzeugung sind viele Regionen der Welt deutlich besser geeignet als Deutschland, die jedoch nicht per Stromleitung angeschlossen werden können.

Immer größerer Bedarf an Ökostrom

Dieser Gedanke bietet auch die Lösung für eine der größten Herausforderungen, die sich für Deutschland durch die Energiewende ergibt. Denn vieles deutet darauf hin, dass einheimischer Ökostrom nicht die alleinige und ausreichende Lösung für alle Aufgaben der nächsten Jahre sein kann. Derzeit strebt die Bundesregierung an, dass der Bruttotromverbrauch im Jahr 2030 zu mindestens 80 Prozent aus Erneuerbaren Energien gedeckt werden soll. Das erfordert einen beschleunigten, massiver Ausbau von Wind- und Solarstrom. Um die Klimaschutzziele zu erreichen, muss der Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Stromnetze sehr viel mehr Fahrt aufnehmen. Bis 2030 soll der Bruttostromverbrauch zu mindestens 80 Prozent aus Erneuerbaren Energien gedeckt werden. 2022 waren es 46,2 Prozent. Ihr Anteil muss sich also innerhalb von weniger als zehn Jahren fast verdoppeln. Wind- und Solarenergie müssen dreimal schneller als bisher ausgebaut werden – zu Wasser, zu Land und auf dem Dach.

Steigender Strombedarf eingerechnet

Die Bundesregierung hat eingerechnet, dass der Strombedarf steigen wird. Denn Industrieprozesse, Wärmeerzeugung und Verkehr werden zunehmend elektrifiziert. 2030 sollen daher rund 600 Terrawattstunden (TWh-Terrawattstunden) Strom aus erneuerbaren Energien bereitgestellt werden – ausgehend von einem höheren Bruttostromverbrauch von etwa 750 TWh sowie der Ökostrombedarf der Chemie-, Stahl- und Zementindustrie, der durch deren Maßnahmen zur Einhaltung der Klimaziele entsteht.

Bislang beträgt der Anteil erneuerbar erzeugten Stroms am gesamten Endenergieverbrauch nur rund zehn Prozent. Somit wird Deutschland mit seiner eigenen Ökostromerzeugung nicht energieautark werden können, sondern auch künftig auf den Import von Energie angewiesen sein. 70 Prozent der Energie bezieht Deutschland heute aus dem Ausland, und diese Energie basiert vorwiegend auf fossilen Rohstoffen. Dazu kommt, dass die erneuerbare Stromerzeugung in Deutschland deutlich teurer bleiben wird als an anderen Standorten in der Welt. Das ist insbesondere für die hiesige Industrie im globalen Wettbewerb ein Standortnachteil.

Energieimporte aus wind- und sonnenreichen Regionen

Vor diesem Hintergrund ist es naheliegend, die Ökostromproduktion gewissermaßen zum Teil „auszulagern“. Das Ziel: Erneuerbare Energie wird nicht mehr nur dort produziert, wo sie gebraucht wird, sondern wo natürliche Ressourcen wie Wind und Sonne in großen Mengen vorhanden sind. In wind- und sonnenreichen Gegenden der Erde, etwa in Nordafrika oder Südamerika, kann mit Ökostrom und dem Verfahren der Elektrolyse grüner Wasserstoff erzeugt werden. Man bezeichnet die dabei entstehenden Energieträger als Power-to-X-(PtX-)-Produkte. Es handelt sich um grünen Wasserstoff und seine Folgeprodukte, zum Beispiel Ammoniak in der chemischen Verbindung mit Stickstoff oder sogenannte E-Fuels. Das sind aus Wasserstoff und CO hergestellte synthetische Rohöle bzw. synthetische Produkte wie etwa treibhausgasneutrales Methanol oder Benzin. Diese synthetischen Fuels lassen sich einfacher speichern und transportieren als der Strom selbst.

Eine langfristige politische Strategie

Welche Regionen eignen sich für die Gewinnung erneuerbarer Energien, insbesondere aus Wind- und Solarenergie sowie Wasserkraft besser als Deutschland? Eine im Auftrag des Weltenergierats Deutschland veröffentlichte Studie von Frontier Economics nennt Länder auf allen Kontinenten, von Norwegen über Marokko bis zu Chile und Australien. Natürlich unterscheiden sie sich stark, schon aufgrund ihrer klimatischen, geographischen und soziologischen Gegebenheiten – Norwegen etwa hat als „Frontrunner“ die technologische Umsetzung bereits vollzogen, Chile verfügt als „Hidden Champion“ über die passenden wirtschaftlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen, um Power-to-X-Projekte schnell zu entwickeln. Aber nirgendwo geht es von heute auf morgen. Der Aufbau eines globalen Marktes für grüne Moleküle braucht eine langfristige politische Strategie und eine schrittweise Skalierung.

Wie groß die Potentiale für Power-to-X sind, zeigt der erste globale PtX-Atlas, den das Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE im Sommer 2021 vorgelegt hat. Um zu ermitteln, wie geeignet die jeweilige Region für die Power-to-X-Produktion ist, gingen die Forscher nach verschiedenen Kriterien vor. So wurden beispielsweise die Flächenverfügbarkeit für Windkraft- und Photovoltaikanlagen sowie die Klima- bzw. Wetterbedingungen analysiert. Auch Faktoren wie die lokale Wasserverfügbarkeit, Naturschutz, Investitionssicherheit und politische Stabilität oder Transportkosten fanden Berücksichtigung.

Wasserstoff bietet riesiges Potential

Das Fraunhofer-Institut kommt in seiner Untersuchung zu dem Ergebnis, dass sich außerhalb Europas mit Windkraft und Photovoltaik (PV) langfristig insgesamt etwa 109.000 Terawattstunden grüner Wasserstoff beziehungsweise 87.000 Terawattstunden synthetische Kraft- und Brennstoffe (Power to Liquid, kurz PtL) pro Jahr herstellen ließen. Dieses Gesamtpotential könne realistischerweise jedoch nur zum Teil erschlossen werden – unter anderem, weil es in einigen vielversprechenden Gebieten an der notwendigen Investitionssicherheit oder der passenden Infrastruktur mangelt. Dennoch kommen die Forscher auf ein Potential von 69.100 Terawattstunden grünstrombasiertem Wasserstoff – beziehungsweise 57.000 Terawattstunden regenerativer PtL-Produkte jährlich. Zur Einordnung: Für die globale Luftfahrt würden 2050 insgesamt mindestens 6.700 Terawattstunden, für den weltweiten Schiffsverkehr 4.500 Terawattstunden PtL benötigt.

Vom internationalen Handel mit grünem Wasserstoff und seinen Folgeprodukten könnte die deutsche Wirtschaft als Maschinen- und Anlagenexporteur stark profitieren. Auch für die Erzeugerländer, gerade Entwicklungs- und Schwellenländer, würden sich durch den Handel mit klimaneutralen Kraftstoffen interessante Perspektiven ergeben. Grafik: en2x

Die Zahlen sind beeindruckend: Rechnet man die zur Verfügung stehenden Mengen nach dem heutigen Anteil an der Weltbevölkerung auf Deutschland herunter, so ständen demnach 770 Terawattstunden Wasserstoff beziehungsweise 640 Terawattstunden PtL jährlich für die Energieversorgung in Deutschland zur Verfügung. Das würde laut Fraunhofer genügen, um den verbleibenden Brenn- und Kraftstoffbedarf zu decken. Vorausgesetzt, Energieeffizienz und direkte Stromnutzung haben absoluten Vorrang. Um das zu realisieren, muss darüber hinaus der erforderliche schnelle Ausbau der nationalen Wind- und Solarstromerzeugung gelingen.

Chancen für Entwicklungsländer

Ist das alles nun reine Zukunftsmusik? Keineswegs. In Chile beispielsweise läuft bereits ein spannendes Power-to-X-Projekt: Porsche und Siemens Energy bauen in Zusammenarbeit mit Exxon Mobil eine Anlage, die synthetischen Kraftstoff herstellt. Das funktioniert mit durch Windkraft erzeugtem Ökostrom und aus der Luft gefiltertem CO. Bis 2026 soll die Produktion auf 550 Millionen Liter pro Jahr steigen.

Vom internationalen Handel mit grünem Wasserstoff und seinen Folgeprodukten könnte die deutsche Wirtschaft stark profitieren. Nach einer Analyse von Frontier Economics könnten die einheimischen Unternehmen die Rolle eines Technologie-, Maschinen- und Anlagenexporteurs übernehmen. Die Folge wären Wertschöpfungseffekte von mehr als36 Milliarden Euro und 470.000 mögliche neue Arbeitsplätze.

Doch nicht nur die Industriestaaten würden von dem Modell profitieren. Auch für die Erzeugerländer der klimaneutralen Kraftstoffe ergeben sich interessante Perspektiven. Gerade Entwicklungs- und Schwellenländern würden sich durch den Aufbau neuer Industrien viele Chancen bieten, heißt es in der Frontier-Economics-Studie. Da zahlreiche Staaten über geeignete Bedingungen verfügen, könnte ein weltweiter PtX-Markt auch vielfältiger gestaltet sein als bestehende Strukturen für fossile Kraft- und Brennstoffe. Starke Abhängigkeiten von einzelnen Ländern könnten somit leichter vermieden werden.

Die Fraunhofer-Forscher mahnen allerdings an: Für alle betrachteten PtX-Erzeugungsländer gelte, dass die maximal mögliche Ausbaudynamik der erneuerbaren Energien der wesentliche limitierende Faktor sei. Dabei sei auch zu beachten, dass die Nutzung des Wind- oder Solarstroms für PtX oftmals in Konkurrenz zur Dekarbonisierung der Stromerzeugung vor Ort stehe. Denn mit dem vorzeitigen Abschalten von Kohlekraftwerken in den betreffenden Ländern lassen sich die CO-Emissionen deutlich stärker reduzieren als mit der Produktion von PtX-Energieträgern und der anschließenden Substitution fossiler Energien.

Nicht zuletzt könnten Entwicklung und Export erneuerbarer Kraftstoffe aber auch Ländern, die bis jetzt noch fossile Energieträger exportieren, eine Alternative für eine zukunftsfähige Wirtschaft bieten. Das sind zum Beispiel Australien oder Länder aus dem arabischen Raum. Auch dieser Aspekt sollte nicht unterschätzt werden, wenn es darum geht, Klimaschutz und den Ausstieg aus fossilen Strukturen weltweit zum Erfolg zu führen.

Um diese Visionen Wirklichkeit werden zu lassen, braucht es allerdings mehr als Pilotprojekte. Erst ein Markthochlauf würde eine ausreichende Nachfrage nach klimaneutralen Kraftstoffen auslösen. Erste Schritte dazu stellen internationale Handelsplattformen mit staatlicher Unterstützung dar. In Deutschland ist dies das 2020 ins Leben gerufene Förderprojekt „H2 Global“. Solche Ansätze könnten künftig noch weiter gestärkt und ausgebaut werden. Denn klar ist: Die Entwicklung eines Power-to-X-Marktes würde eine globale Win-win-Situation schaffen.

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