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Interview

Im Gespräch über Winterlust

Klare Luft, Sonnenschein und tolle Aussicht: So lieben wir den Winter. Doch dieser wird immer seltener. Foto: Andreas Friedrich

Sachbuchautor Bernd Brunner hat eine spannende Kulturgeschichte über die kalte Jahreszeit geschrieben

Als der erste Schnee im vergangenen Jahr schon Anfang Dezember fiel, holte der international renommierte Berliner Sachbuchautor Bernd Brunner sofort seine Winterstiefel aus dem Keller, um durch den verschneiten Grunewald zu wandern. Seine Begeisterung für die kalte Jahreszeit hat sich vor ein paar Jahren in dem illustrierten Sachbuch „Als die Winter noch Winter waren – Geschichte einer Jahreszeit“ niedergeschlagen. Darin wird erstmalig eine Kulturgeschichte des Winters beschrieben. Bei seinem Blick in die Vergangenheit, der bis zur Eiszeit reicht, streift Brunner die verschiedensten Facetten des Winters, der Faszination und der Schrecken, die Kälte, Schnee und Eis immer wieder ausübten. Wissenschaftliche Erkenntnisse, Anekdoten und Mythen über den Winter aus vielen Weltgegenden und kulturhistorische Bezüge verbindet Brunner auf unterhaltsame Weise und unterlegt sie mit zahlreichen Fotos und Illustrationen. Das Ausbleiben von Wintern in unseren Breiten durch den Klimawandel sieht er auch als einen kulturellen Verlust, da wir auf den Wechsel der Jahreszeiten konditioniert sind. „Wäre es nicht eine grässliche Vorstellung, wenn immer nur Sommer wäre?“, fragt Brunner. Auch diesen könne man nur durch die Erfahrung des Winters wirklich genießen.

Die Themen für seine Bücher findet Brunner an der Schnittstelle von Kultur- und Wissenschaftsgeschichte. Faktenreich und unterhaltsam beschäftigt er sich mit den unterschiedlichsten Themen: „Die Kunst des Liegens“, „Wie das Meer nach Hause kam – Die Erfindung des Aquariums“, das „Buch der Nacht“ oder „Die Erfindung des Nordens“ sind vergnügliche Streifzüge und Entdeckungsreisen durch unsere kulturelle Entwicklung.

Bernd Brunner

Bernd Brunner – Foto: Privat

Herr Brunner, ein Wintereinbruch Anfang Dezember vergangenen Jahres legte München weitgehend lahm. Das Schneechaos zerrte an den Nerven von Reisenden und Pendlern. In der Stadt kehrte unter der Schneedecke aber auch Ruhe ein und man konnte durch verschneite Straßen spazieren. Ist das der „Winter, wie er einmal war“, um den Untertitel ihres Buches „Als die Winter noch Winter waren“ aufzugreifen?

Bernd Brunner: Ich bin in Berlin aufgewachsen. Ich erinnere mich noch sehr gut an die späten 60er- und frühen 70er-Jahre, wo große Mengen Schnee gefallen sind. Als kleiner Mensch nimmt man die Schneemenge vielleicht auch dramatischer wahr. Ich bin mit meiner Mutter häufig zum Teufelsberg gefahren zum Rodeln. Seit Jahrzehnten kann ich mich nicht erinnern, dass das nochmal möglich war. Dass jetzt so früh im Jahr Schnee gefallen ist, ist eine Ausnahme. Leider fällt in Berlin nur selten Schnee, dann aber häufig in großen Mengen. In der Stadt ist der Schnee dann aber auch meist genauso schnell wieder geschmolzen, wie er gekommen ist.

Schrecken und Faszination des Winters mit „weißer Pracht“ liegen ja nah beieinander. Was fasziniert Sie am Winter am meisten?

In Bayern habe ich als Kind meine ersten Winterurlaube bewusst erlebt. Ich war im Bayerischen Wald, in der Nähe von Ruhpolding und im Allgäu. Als ich älter war, sind wir mehrere Male nach Reit im Winkel gefahren. Diesen knisternden Schnee, diese sehr trockene Luft und die starke Sonneneinstrahlung waren intensive körperliche Erfahrungen, die man in der Stadt kaum machen kann. Das waren besondere Momente, die sich mir tief eingeprägt haben, wenn alles zur Ruhe kommt und der Schall vom Schnee gedämpft wird. Die Natur kommt im Winter zum Stillstand. Für uns Menschen ist die Weihnachtszeit eine Gelegenheit, zur Besinnung zu kommen. Es wird alles langsamer und man kann verarbeiten, was im Laufe des Jahres passiert ist. Mit der Wintersonnenwende kann man sich dann wieder auf die längeren Tage freuen.

Sie schreiben, es gäbe die perfekte Winterwelt mit tief verschneiten, leuchtenden Schneelandschaften. Wo haben Sie die selbst am ehesten gefunden?

Auf der Winklmoosalm gibt es auf dem Hochplateau ausgedehnte Loipen, die mich immer wieder fasziniert haben. Vor ein paar Jahren war ich nahe der kanadischen Grenze, wo Temperaturen von minus 20 Grad herrschten und Sonne und Schneesturm sich abgewechselt haben. Die Stille und das Knacken der Baumstämme durch die Kälte, all das hat mich fasziniert. Wenn es richtig kalt wird, dann fallen richtige Eiskristalle. Je wärmer es wird, umso größer werden dann auch die Schneeflocken und vergrößert sich die Schneemenge. Vor einigen Jahren habe ich in Istanbul meterhohen Schnee erlebt, das war auch sehr beeindruckend.

Der Begriff „Winterlust“ wurde für die englische Fassung Ihres Buches verwendet. Im Englischen ist ja „Wanderlust“ auch ein gängiger Begriff. Was verstehen Sie unter „Winterlust“?

Ich habe bei dem Begriff immer die historische Dimension vor Augen. Der Begriff hat einen erstaunlichen Wandel erfahren. Ich habe ihn zuerst bei Goethe gefunden. Damals gab es bis auf das Eislaufen noch keinen Wintersport. Goethe beschreibt mit Winterlust eine Befindlichkeit der Schönheiten des Winters gegenüber. Er benutzt auch den Begriff „Eislust“, der das Schlittschuhlaufen bezeichnet. Im 19. Jahrhundert gab es auch Gasthäuser die sich „Winterlust“ genannt haben. Aus dem frühen 20. Jahrhundert habe ich eine Illustration gefunden, bei der es tatsächlich um das Skifahren ging. So wird der Begriff heute auch im englischsprachigen Raum benutzt, wobei er sowohl Wintersport als auch die Lust an der Schneewelt, dem Eis und der Kälte beschreibt. Der Begriff „Winterlust“ ist zusammen aufgetaucht mit dem Begriff „Wanderlust“, der in Amerika viel populärer ist als hierzulande.

Wie kamen Sie auf die Idee, ein Buch über die Geschichte einer ganzen Jahreszeit zu schreiben?

Die Ursprungsidee war, etwas über Eis und Eiskristalle zu schreiben, wie man diese Eiskristalle gedeutet hat und mit dem Mikroskop ihre Struktur erforschen konnte. Da kam zusammen mit dem Verlag die Idee auf, eine Kulturgeschichte des Winters zu schreiben, die es bisher so noch nicht gab. Meine Themen sind ja immer historisch aufgebaut, wie sich eine Leidenschaft oder eine Faszination entwickelt hat im Laufe der Zeit.

In seinem Buch „Als die Winter noch Winter waren“ zeigt der Kulturwissenschaftler Bernd Brunner auf eindrucksvolle Weise, wie sich unsere Beziehung zu dieser Jahreszeit verändert hat.

In seinem Buch „Als die Winter noch Winter waren“ zeigt der Kulturwissenschaftler Bernd Brunner auf eindrucksvolle Weise, wie sich unsere Beziehung zu dieser Jahreszeit verändert hat. Foto: Archiv Bernd Brunner

Auf den Bildern sind Wintersportmotive des Nürnberger Künstlers Ambrosius Gabler, ca. 1805, zu sehen.

Auf den Bildern sind Wintersportmotive des Nürnberger Künstlers Ambrosius Gabler, ca. 1805, zu sehen. Foto: Archiv Bernd Brunner

Sie verknüpfen in Ihrem Buch vielfältige Facetten des Winters, Wintergeschichten und Mythen über den Winter aus aller Welt mit kunstgeschichtlichen Betrachtungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen, selbst die Eiszeit wird beschrieben. Wie sind Sie bei der Konzeption des Buches mit der Fülle an Material vorgegangen?

Die vielen Facetten ergeben sich aus der Erkenntnis, dass alles mit allem zusammenhängt. Ich weiß, dass ich sehr viel finden werde, und dann kommen immer neue Aspekte dazu und ergänzen sich an den verschiedenen Stellen. Ich gehe oft Seitenwege und komme dann wieder auf etwas anderes. Manche Leute finden das unsystematisch, weil sie es von einem Sachbuch anders gewöhnt sind, aber das entspricht nicht dem, wie ich selber arbeite und denke.

Hat sich der Mythos von Winter und Weihnachtszeit bei uns in den vergangenen Jahrzehnten verändert?

Der Mythos des Winters und Weihnachten ist nach wie vor stark, aber die Begleitumstände haben sich durch den Klimawandel spürbar geändert, auch wenn es so Anomalien mit einem Wintereinbruch wie Anfang Dezember gibt. Die Winter werden wärmer in unseren Breiten. Es geht mit dem Verlust der intensiven Wintererfahrung ein Teil unserer Kultur verloren. Wir sind ja kulturell konditioniert auf den Wechsel der Jahreszeiten. Mit jeder Jahreszeit sind Mythen, Geschichten und religiöse Feiertage verbunden.

Der Skipionier Matthias Zdarsky, circa 1905. Er brachte unter anderem die Entwicklung der Alpinski-Bindung und der Lauftechnik voran.

Der Skipionier Matthias Zdarsky, circa 1905. Er brachte unter anderem die Entwicklung der Alpinski-Bindung und der Lauftechnik voran. Foto: Wikimedia Commons

Der Filmregisseur Werner Herzog ist im Winter von München nach Paris gewandert und hat dabei ausgiebige Schneestudien betrieben, der Amerikaner Wilson Bentley hat in mühevoller Kleinarbeit tausende Fotos verschiedener Schneeflocken gemacht, wie sie in Ihrem Buch schreiben. Wissen wir zu wenig über den Winter, um von ihm fasziniert zu sein?

Ich denke wir haben verlernt, uns mit dem Winter auseinanderzusetzen, wir haben es lieber warm und bequem. Oft sind unsere Wohnräume auch überheizt. Früher gab es die Heizungssysteme nicht und man musste überlegen, wann man die Kohlebriketts nachlegt. In den 80er-Jahren gab es vor allem im Ostteil Berlins im Winter häufig noch Smog durch die Kohleverbrennung. Rauszugehen und die Kälte zu erleben, ist eine intensive Erfahrung, die mich immer wieder begeistert. Saunagänge im Winter sind auch toll. Heute haben wir ja den Luxus, uns auch jederzeit wieder in die Wärme zurückziehen zu können. Wir sind von unserer anthropologischen Herkunft her eigentlich Menschen der Tropen, und es war eine große Anpassungsleistung, uns im Laufe der Jahrtausende an die kalte Jahreszeit zu gewöhnen. Bei Menschen in kalten Regionen besteht eine erhöhte Kältetoleranz. Bei den Inuit lässt sich sogar eine dem sonst beobachteten Mechanismus entgegengesetzte, starke Erweiterung der Blutgefäße beobachten. Da ihre Ernährung recht einseitig ist und hauptsächlich aus Robben- und Walrossfleisch oder auch Walfleisch besteht, hat sich ihr Stoffwechsel umgestellt und kann Fleisch in Traubenzucker umsetzen.

Gut gekleidet hinaus ins Freie: Ein Spaziergang bei kühlen Temperaturen kann helfen, der Lethargie zu entkommen, die sich beim „Stubenhocken“ mitunter einstellt, findet auch Bernd Brunner.

Gut gekleidet hinaus ins Freie: Ein Spaziergang bei kühlen Temperaturen kann helfen, der Lethargie zu entkommen, die sich beim „Stubenhocken“ mitunter einstellt, findet auch Bernd Brunner. Foto: Adobe Stock

Was sollten Wintermuffel Ihrer Meinung nach tun, um den Winter schätzen zu lernen?

Meine Strategie ist, sehr viel rauszugehen, dann kann man sich aus dieser Trägheit befreien. Das bringt die Lebensgeister in Schwung in jeder Jahreszeit. Während der Pandemie hat das zügige Laufen mir sehr geholfen. Ich gehe bei jedem Wetter raus, solange man vernünftig angezogen ist, ist das auch kein Problem. Heute haben wir Thermokleidung, die das Ganze viel angenehmer macht. Die gab es damals noch nicht, als ich meine ersten Erfahrungen im Schnee machte.

Welcher Urlaub ist Ihnen lieber: Sommer oder Winter?

Wenn Sie mich im Winter fragen, sage ich dann vielleicht der Sommerurlaub, im Sommer vermutlich der Winterurlaub. Ich möchte nicht das eine gegen das andere ausspielen. Ich unterbreche auch gerne den Winter, im Februar wird es mir dann oft zu viel mit der Düsterkeit. Ich mag auch den Sommer sehr gerne, obwohl ich nicht gerne stundenlang am Strand liege.

Wird es von Ihnen auch ein Buch über den Sommer geben?

Aus dem Winterbuch ist das „Norden“-Buch entstanden. Ich hatte überlegt, über den Frühling und seine Mythologie ein Buch zu schreiben, aber das ist im Moment nicht in Planung. Eigentlich könnte über jede Jahreszeit ein Buch geschrieben werden.

Interview: Wolfram Seipp

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