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Slow Travel

Immer schön langsam

Foto: Adobe Stock

Entschleunigtes Reisen ist das totale Gegenteil von Massentourismus und Städtehopping. Die Autorin hat es ausprobiert

Es war einmal im Jahre 1986, da wurde in Italien die Slow-Food-Organisation gegründet. Mit ihrem Ziel, die regionale Küche mit ihren heimischen pflanzlichen und tierischen Produkten zu erhalten und deren lokale Herstellung zu unterstützen, grenzte sich die Bewegung vom globalisierten und gleichförmigen Fast Food ab. Slow Food stand und steht noch heute für genussvolles, regionales und bewusstes Essen. Seither hat sich der Begriff weltweit etabliert und dabei einige Sprösslinge hervorgebracht. Einer davon ist Slow Travel. Was darunter zu verstehen ist, lässt sich bei nachhaltiges-reisen.org nachlesen, nämlich: „… eine Verbindung zum Urlaubsort, zu den Einwohnern und der Kultur herstellen“. Und das Zukunftsinstitut meint, Slow Travel lässt sich „… im Luxus- wie im Low-Budget-Segment realisieren, in der freien Natur ebenso wie in Städten, privat und im Rahmen geschäftlicher Anlässe“, es hat „…seine Wurzeln im Megatrend Individualisierung und ist Teil des wachsenden Anspruchs nach Selbstgestaltung des eigenen Urlaubsideals“. Um im Sinne von Slow Travel unterwegs zu sein, muss man aber keine weite Reise machen, also keine, für die man per Flieger Tausende Kilometer zurücklegt, um dann an fernen Orten das authentische, regionale Leben der dortigen Bevölkerung zu teilen. Oft reichen schon ein paar hundert oder noch weniger Kilometer für das echte Slow-Travel-Gefühl. Man muss es nur richtig anstellen.

Was auf unserer Bucket-List stand

Bei einem Selbstversuch, einige Jahre bevor Slow Travel zum Megatrend wurde, im Norden Österreichs unternommen, gelang uns das vollumfänglich. Während dieser knapp 110 Kilometer (ohne Umwege und Verirrungen), die wir in sechs Tagen zu Fuß im Waldviertel zurücklegten, erfüllten wir all die Punkte, die bei Slow Travel auf der Bucket-List stehen.

Als da sind:

1. Tempo drosseln
2. Komfortzone ausweiten
3. Vereinfachen
4. Von Plänen loslassen
5. Weniger ausgeben
6. Fuß fassen
7. Sich einfügen
8. Auf Fremde vertrauen
9. Dankbarkeit zeigen und schließlich:
10. Das Gewöhnliche wertschätzen.


    Punkt 1 Tempo drosseln, hatten wir bereits mit unserer Reiseart per Zug, Bus und pedes erfüllt. Alles, was für das Unterwegssein nötig war, steckte in zwei Rucksäcken, und es war wirklich nur das Nötigste: Wäsche und T-Shirts zum Wechseln, ein paar warme Sachen, Hirschtalgsalbe gegen Blasen, ein Kompass für alle Fälle, bisschen Apotheke, Socken, Handy und eine Notration Studentenfutter samt Trinkflasche. Nicht zu vergessen: Karten im Maßstab 1:25000, ohne die wir kaum dorthin gelangt wären, wo wir eigentlich hin wollten.

    Bald war der Takt gefunden

    Die Punkte 2. Komfortzone ausweiten und 5. Weniger ausgeben konnten wir abhaken, indem wir uns an einem regnerischen Tag mit heiß Duschen, statt funktionierender Heizung im ersten Pensionszimmer zufrieden gaben. Und weil es nirgends ein Gasthaus gab, die Pension selbst nur Frühstück bot, waren wir am Abend sehr froh über unser Päckchen mit Trockenfrüchten und Nüssen. Wir teilten es geschwisterlich und saßen gemütlich knabbernd unter der Bettdecke, während es draußen dunkel wurde.

    Der Weg ist das Ziel. Beim Slow Travelling lässt man viel auf sich zukommen. Foto: Adobe Stock

    Am nächsten Tag regnete es nicht mehr. Mittlerweile hatten wir beim Gehen unseren Takt gefunden, das heißt, richtig „Fuß gefasst“. Punkt 6 der Slow-Travel-Vorgaben war damit abgearbeitet. Wir liefen hügelauf, hügelab, vorbei an Feldern mit grasenden, sich suhlenden Schweinen, marschierten auf Wegen, die einfach „Holzweg“ hießen oder verheißungsvoll als „Planetenweg“ bezeichnet waren, an Bächen entlang, durch lichte Wälder und fühlten uns sehr wohl. Am nächsten Übernachtungsort konnten wir aus einem stattlichen Angebot an Gasthäusern wählen und nach herzhaftem Essen und Trinken dankbar in die Betten fallen. Punkt 9 erledigt. Ein leibhaftiger Kater (keiner vom Vorabend) verabschiedete uns am nächsten Morgen zu Beginn der dritten Etappe. Dabei begegneten uns: fischende Männer (es war Samstag), alte Kirchen, eine Dampflokomotive mit Anhängern, ein kleiner Bub, der seinem Vater beim Holzsägen zuschaute. Wir stießen auf einen Birnbaum voller Früchte, hoben ein paar von den am Boden liegenden Birnchen auf und probierten – sie schmeckten fantastisch. Dabei hatten wir ganz ungeplant Punkt 10 der Liste abgearbeitet: Das (vermeintlich) Gewöhnliche zu schätzen. Vorbei an leerstehenden Fabrikgebäuden, über einen hübschen Stadtplatz hinweg, hielten wir auf den Weg zu, der uns zur nächsten Unterkunft führen sollte. Trotz ernsthaften Versuchens fanden wir ihn nicht und liefen deshalb zurück zum Ort. In einer Gaststätte fragten wir noch einmal nach dem Weg, aber weil es schon spät war, rief uns der Wirt ein Taxi. Nicht ganz Slow Travel, aber wenigsten hatten wir für die Nacht unser gebuchtes Dach über dem Kopf und gleich zwei weitere Punkte unserer Bucket-List erfüllt: 4. Von Plänen loslassen und 8. Auf Fremde vertrauen. Kurz vor Ende der Reise gerieten wir wegen unerwarteter Baumaßnahmen etwas vom Weg ab und deshalb in Streit. Ein mit den lokalen Gegebenheiten vertrauter Fußgänger konnte ihn schlichten und wir damit in gewisser Weise Punkt 7 abhaken. So blieb bis zum Ende der Reise nur noch Punkt 3 offen. Er wurde erst auf der Heimfahrt abgearbeitet, denn als wir am Münchener Ostbahnhof angekommen waren, hatte gerade ein mehrstündiger Lokführerstreik begonnen und nichts ging mehr. Wir machten es uns einfach und stiegen in ein Taxi. Damit kamen wir dann zwar nicht slow, aber immerhin relaxed zu Hause an.

    Pauline Sammler

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