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„Wir konkurrieren mit den Tech-Giganten“

Die Techniker Krankenkasse (TK) will die Digitalisierung im Gesundheitswesen vorantreiben. TK-Vorstandschef Jens Baas spricht über das Verhältnis zu Ärzten, über Datenschutz und die Technologie-Unternehmen, mit denen Krankenkassen sich heute messen müssen.

7. Juli 2021 - 6 Min. Lesezeit

Die Corona-Pandemie hat vielen erst vor Augen geführt, wie viel Deutschland noch zu tun hat, bis das Gesundheitswesen wirklich digitalisiert ist. In vollen Wartezimmern sitzen oder Arztpraxen abtelefonieren, um einen Impftermin zu bekommen – das sollte künftig der Vergangenheit angehören. Eine aktuelle Erhebung des Süddeutschen Verlags und der Techniker Krankenkasse ermittelt einen Digitalisierungsindex* von 44 Prozent für das Gesundheitswesen – ein eher mittelmäßiger Wert, der zeigt, dass es noch viel zu tun gibt. Die komplexen Strukturen im Gesundheitswesen machen Veränderungen nicht gerade einfach.

Vor allem die Ärzteschaft gilt vielen als skeptisch. „Das ist zu pauschal, hat aber einen wahren Kern“, sagt Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse, „es gibt in Deutschland keine nicht digitalisierte Arztpraxis mehr.“ Natürlich sind viele Ärztinnen und Ärzte der Digitalisierung gegenüber aufgeschlossen, aber längst nicht allen sei klar, was hier noch alles möglich ist.

Über Jens Baas

Jens Baas arbeitete nach einem Studium der Humanmedizin an der Universität Heidelberg und der University of Minnesota (USA) als Arzt in den chirurgischen Universitätskliniken Heidelberg und Münster. Ab 1999 war er für die Unternehmensberatung Boston Consulting Group tätig, ab 2007 als Partner und Geschäftsführer. Dem Vorstand der TK gehört er seit Januar 2011 an, seit Juli 2012 ist er Vorsitzender des Vorstands.

Der einzelne Arzt, die einzelne Ärztin will vor allem den Patientinnen und Patienten helfen – und freut sich, wenn alle Praxissysteme laufen. „Ärzte wollen in erster Linie keine IT-Beauftragten sein, sondern wollen ihre Patient/-innen behandeln“, sagt TK-Chef Baas. Umso wichtiger sei es laut Baas, die Vorteile für die Praxen deutlich zu machen, etwa den schnelleren und umfassenderen Zugriff auf relevante Informationen – und somit die Chance informierter und besser zu behandeln.

„Die Digitalisierung wird den Arzt nicht ersetzen“

Eine Befürchtung kann der Krankenkassenmanager jedenfalls zerstreuen: „Die Digitalisierung wird den Arzt nicht ersetzen.“ Medizin habe immer einen menschlichen Aspekt, das werde auch so bleiben. Für die digitale Zukunft schwebt Baas ein Hybrid-Modell aus ärztlicher Expertise und Unterstützung durch Künstliche Intelligenz vor. „Ich glaube, in einigen Jahren wird es ein Kunstfehler sein, wenn ein Arzt oder eine Ärztin Patient/-innen behandelt, ohne eine Künstliche Intelligenz befragt zu haben“, sagt er. Es werde zunehmend unmöglich für Ärzt*innen, alle Patientendaten auszuwerten. Dabei könne Künstliche Intelligenz helfen; die Diagnose stellen aber Ärzt*innen. „Eine solche KI kann helfen, ein besserer Arzt, eine bessere Ärztin zu werden“, sagt Baas.

Patient/-innen sehen Digitalisierung noch nicht gut umgesetzt

Vielen Patient/-innen muss man nicht mehr erklären, dass Digitalisierung ihnen das Leben einfacher macht. Bei der Umfrage von Süddeutschem Verlag und TK gaben mehr als zwei Drittel (68 Prozent) der Befragten an, sie seien bereit für digitale Behandlungsmöglichkeiten. Gut zwei Drittel (67 Prozent) erwarten mehr digitalen Service von ihrem Arzt oder ihrer Ärztin. Überwältigende 91 Prozent sagen, dass der persönliche Austausch mit dem Arzt oder der Ärztin weiterhin wichtig ist – Digitalisierung hin oder her. Und deutlich mehr als die Hälfte der Befragten (59 Prozent) sehen die Digitalisierung im Gesundheitswesen noch nicht gut umgesetzt. Aus Sicht von TK-Chef Baas ist das eine realistische Einschätzung: „Zu behaupten, das bisher Erreichte wäre schon gut und ausreichend, wäre zum jetzigen Zeitpunkt falsch“, sagt er. Vielmehr sei es ein positives Zeichen, dass die Bevölkerung das Potenzial der Digitalisierung erkenne. Viele Menschen wollten mehr Digitalisierung im Gesundheitswesen. „Ähnlich wie bei den Ärztinnen und Ärzten müssen wir aber auch den Patient/-innen erklären, wo ihre unmittelbaren Vorteile durch die Digitalisierung liegen.“

Ein Beispiel: Erst die elektronische Patientenakte, die seit Jahresbeginn gesetzlich Versicherten zur Verfügung steht, führt künftig Patientendaten zusammen. Aus Sicht von Baas könne dies die Behandlung deutlich verbessern. Dann sehe man zum Beispiel auf einen Blick, ob der Patient oder die Patientin Medikamente nimmt, die Wechselwirkungen hervorrufen können.

Digitale Lösungen, aber bitte mit Datenschutz

„Wir brauchen ein Gesundheitssystem, das Daten nutzt, aber unter der Hoheit der Versicherten und mit dem Wissen, dass Missbrauch nicht toleriert wird“, sagt TK-Chef Baas. Angesichts sensibler Gesundheitsdaten sei Datenschutz enorm wichtig.

Insbesondere bei diesem Thema sieht er international Modelle, die nicht zu Deutschland passen. Beispiel China: „Dort sagt man natürlich, Datenschutz wird bei uns ganz großgeschrieben. Auf die Daten greift nur einer zu, und das ist die Regierung.“ Baas lacht und schüttelt den Kopf. Das könne man natürlich nicht übernehmen.

Er plädiert für technische Lösungen in Europa, die es mit den Apps der großen US-amerikanischen und perspektivisch auch chinesischen Technologiekonzerne aufnehmen könnten, den Nutzer/-innen aber Datenschutz nach europäischem Standard bieten. „Wenn das gelingt, kann das eine Chance für Europa sein“, sagt Baas.

Eine Chance ja, aber natürlich auch eine riesige Herausforderung. Dessen ist sich Baas bewusst. „Ich merke das ja selbst an den Reaktionen, wenn ich sage: Wir konkurrieren als Krankenkasse bei den digitalen Gesundheitsinnovationen mit den großen Tech-Unternehmen“, erzählt er und lacht. Natürlich könne man einen solchen Ansatz für größenwahnsinnig halten, aber die Alternative sei, gar keine Innovation zu wagen.

Die Geschwindigkeit bei der Digitalisierung darf nicht nachlassen

„Sicher, wir haben weniger Geld und wir haben weniger Leute als die Tech-Giganten. Aber wir haben die hohen Standards in Sachen Datenschutz“, sagt er. „Also müssen wir versuchen, das, was wir haben, zum Erfolg zu machen.“ Dafür reicht es aus Baas‘ Sicht nicht aus, die Methoden anderer Länder zu kopieren, die schneller voranschreiten als Deutschland. Gleichzeitig ist dem TK-Chef wichtig, dass die Geschwindigkeit der Digitalisierung nicht nachlässt. Unabhängig davon, wie die nächste Bundesregierung zusammengesetzt ist, wünscht er sich ein tatkräftiges Vorangehen. „Der Staat muss die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass sich jeder im Gesundheitswesen am Ausbau der Digitalisierung beteiligt“, fordert Baas.

In der Untersuchung zum Digitalisierungsindex sieht er eine Bestätigung seiner Strategie. „Es ist richtig, dass wir seit langer Zeit so stark in dem Bereich pushen.“ Deutschland dürfe in der Digitalisierung des Gesundheitswesens nicht zurückfallen. Er sehe die Erhebung auch als einen „Anreiz, noch stärker voranzugehen und uns nicht von Gegenwinden entmutigen zu lassen.”

Über Die Techniker

Mit fast 11 Millionen Versicherten ist die Techniker Krankenkasse (TK) die größte Krankenkasse in Deutschland. Die rund 14.000 Mitarbeitenden setzen sich tagtäglich dafür ein, den TK-Versicherten eine qualitativ hochwertige medizinische Versorgung zu gewährleisten. Mit zahlreichen Innovationen – wie zum Beispiel der elektronischen Gesundheitsakte TK-Safe – ist es das Ziel der TK, die Digitalisierung im Gesundheitswesen voranzutreiben und ein modernes Gesundheitssystem maßgeblich mitzugestalten. Focus-Money (Ausgabe 7/2022) zeichnete die Techniker bereits zum 16. Mal in Folge als „Deutschlands beste Krankenkasse“ aus.

TK-Logo

* Die Onlinebefragung fand im Januar und Februar 2021 statt. Insgesamt wurden 1.036 Menschen befragt, von denen 252 innerhalb der letzten sechs Monate als Patientinnen oder Patienten Kontakt zum Gesundheitswesen hatten, etwa durch einen Arzttermin. Hier erfahren Sie mehr über die Studie.

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