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Neun von zehn Unternehmen in Deutschland sind in Familienbesitz, viele von ihnen behaupten sich seit Jahrzehnten am Markt. Was ist das Geheimnis erfolgreicher Traditionsunternehmen?
Als eines der ältesten bayerischen Traditionsunternehmen gilt die Lukas Meindl GmbH: Der Schuhhersteller aus dem oberbayerischen Kirchanschöring geht auf den Schuhmacher Petrus Meindl zurück, dessen Arbeitim Jahr 1683 erstmals urkundlich erwähnt wurde. Seither übte stets ein Mitglied der Familie Meindl das Schuhmacherhandwerk in der 3.000-Seelen-Gemeinde im Landkreis Traunstein aus. Zur Zeit von Petrus Meindl prägten handwerkliche Kleinbetriebe das Geschäftsleben in Bayern. Meist arbeitete der Meister allein – oder beschäftigte einen, maximal zwei Gesellen, die in seinem Haus lebten und arbeiteten. Oftmals wohnten mehrere Meister eines Handwerkszweiges in derselben Straße. Straßennamen wie Gerbergasse oder Kupferstraße erinnern noch heute daran, wie etwa in Ingolstadt. Das handwerkliche Können des Einzelnen stand damals im Zentrum, Werkzeuge wurden lediglich ergänzend eingesetzt. Dies änderte sich mit dem Aufkommen der Manufakturen.
Vorläufer der Fabrikarbeit
Zwar wurde auch in dieser Phase der Handwerksgeschichte weiterhin mit den Händen gearbeitet, doch die Arbeitsschritte wurden mehr und mehr aufgeteilt. Statt eines kompletten Schuhs oder Schmuckstücks fertigte der Handwerker nun nur noch einzelne Teile davon und spezialisierte sich auf seinen persönlichen Arbeitsschritt. Daher gelten Manufakturen zu Recht als Vorläufer der modernen Fabriken.
Handwerk ist bis heute ein hochgeschätztes Gut. Foto: iStock/tylim
Doch es sollten schon bald noch tiefgreifendere Veränderungen der Lebens- und Arbeitsweise der Menschen anstehen: durch die Industrielle Revolution.
Die Industrielle Revolution sorgte für einen gesellschaftlichen Wandel
Die Phase der Industrialisierung setzte in Deutschland etwa 50 Jahre später ein als in ihrem Ursprungsland England. Der Beginn hierzulande wird auf das frühe 19. Jahrhundert datiert. Traditionelle Handarbeit wurde nach und nach von der maschinellen Massenproduktion verdrängt. Zeitgleich schuf der Ausbau der Eisenbahn neue Möglichkeiten für Unternehmen, um Güter zu transportieren. Die Wirtschaft wuchs rasant, das Handwerk verlor an Bedeutung. Ende des 19. Jahrhunderts nahmen deutsche Unternehmen in verschiedenen Wirtschaftszweigen eine Vorreiterrolle ein, etwa in den Bereichen Chemie, Maschinenbau und Elektrotechnik. In diese Zeit fallen beispielsweise die Erfindung des Automobils durch Carl Benz und die Entdeckung des dynamoelektrischen Prinzips durch Werner von Siemens, der daraufhin den ersten elektrischen Generator konstruierte.
Die Industrialisierung brachte den Fortschritt. Foto: iStock/Heiko Küverling
Wiederaufbau und Wirtschaftswunder
Der Erste Weltkrieg endete für Deutschland mit einer Niederlage, was auch die bayerischen Traditionsunternehmen zu spüren bekamen. Die hohen Reparationszahlungen an die alliierten Nationen, aber auch die Wirtschaftskrise und die Hyperinflation der 1920er-Jahre brachten die heimische Wirtschaft beinahe zum Erliegen. Nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs schlug dann die „Stunde Null“: Es begann die Phase des Wiederaufbaus und schließlich des Wirtschaftswunders. Wirtschaftshistoriker sprechen von der „goldenen Ära des Kapitalismus“, die mit der Ölkrise 1973 einen ersten spürbaren Dämpfer bekam. Weitere bedeutende Ereignisse, die die bayerische Wirtschaft stark prägten, waren unter anderem die Wiedervereinigung 1990, die Finanzkrise 2008 und die Coronakrise der letzten drei Jahre.
Die Geschichte der Traditionsunternehmen ist ein ständiges Auf und Ab
Ökonomisch wie politisch haben bayerische Traditionsunternehmen in den vergangenen Jahrzehnten also viele Höhen und Tiefen erlebt. Doch vielen ist es gelungen, selbst die stürmischsten Zeiten zu überstehen. Viele von ihnen haben starke Marken hervorgebracht, die mit Attributen wie „verlässlich“ und „hochwertig“ verbunden und auf der ganzen Welt geschätzt werden.
Vom Bäcker bis zum Schneider – deutsches Handwerk wird weltweit geschätzt. Foto: iStock/Kirill Liv
Wie haben sie das geschafft? Zum einen gelten Traditionsunternehmen durch ihre lange Erfolgsgeschichte und ihr häufig familiengeführtes Management als nahbarer und persönlicher als vergleichbare Unternehmen oder Konzerne. Zum anderen versprechen sich viele Verbraucherinnen und Verbraucher von traditionsreichen, regionalen Betrieben Orientierung und Sicherheit in schnelllebigen, globalisierten Zeiten. Das bringt eindeutige Wettbewerbsvorteile mit sich: Durch geeignete Marketingmaßnahmen wie History Communication und Heritage PR können Betriebe ihre Firmengeschichte professionell erzählen und dadurch ihre Kundinnen und Kunden emotional erreichen.
Qualität, Nachhaltigkeit, Innovation: dafür stehen heute Traditionsunternehmen
Neben der Langlebigkeit sind es die unternehmerischen Werte, die einen Traditionsbetrieb kennzeichnen. Es handelt sich dabei um bestimmte Eigenschaften und Grundsätze, die als erstrebenswert angesehen werden: Klassische Unternehmenswerte sind beispielsweise Qualität, Nachhaltigkeit, Innovation und Kundenfreundlichkeit. Diese Werte werden von Generation zu Generation weitergegeben und sorgen für Kontinuität. Im Idealfall führt dieses Vorgehen dazu, dass die Verbraucher zu einem Produkt greifen, das schon die Großeltern gekauft und geschätzt haben – und das auch Jahrzehnte später nichts von seiner Strahlkraft verloren hat. Übrigens: Etwa die Hälfte aller Unternehmen werden in den ersten fünf Jahren nach ihrer Gründung wieder aufgelöst. Weniger als fünf Prozent erleben die dritte Generation. Bayerische Traditionsunternehmen, die es bis hierher geschafft haben, haben also echten Seltenheitswert. Sie dürfen zu Recht stolz auf sich sein. Um auch in Zukunft bestehen zu können, braucht es kontinuierliche, wirtschaftlich kluge Entscheidungen. Denn auch ein Traditionsunternehmen darf sich nie auf seinen bisherigen Erfolgen ausruhen, sondern muss auf gesellschaftliche Veränderungen angemessen reagieren, um auf der Höhe der Zeit zu bleiben. Mit einer gesunden Mischung aus Tradition und Innovation kann dies langfristig gelingen – damit auch kommende Generationen weiterhin vom Know-how bayerischer Traditionsunternehmen profitieren können.
Nicht alle tradierten Unternehmen konnten am Markt bestehen
Auch wenn viele bayerische Firmen auf eine lange, glanzvolle Historie zurückblicken können: Niederlagen und Scheitern gehören untrennbar zur Geschichte des Unternehmertums dazu. Denn die Geschäftswelt steckt voller Möglichkeiten und Chancen, von denen nun mal nicht alle zum Erfolg führen. Oder, um es mit den Worten des US-amerikanischen Erfinders Thomas Alva Edison auszudrücken: „Ich bin nicht gescheitert – ich habe 10.000 Wege entdeckt, die nicht funktioniert haben.“ Dementsprechend finden sich auch in der langen Geschichte der bayerischen Traditionsunternehmen einige, die im Laufe der Zeit an Glanz verloren haben und letztlich ganz vom Markt verschwunden sind.
Ein prominentes Beispiel aus den frühen 2000er-Jahren ist die Münchner Kirch-Gruppe. Bis zur Insolvenz und Zerschlagung war das von Leo Kirch im Jahr 1955 gegründete Unternehmen der zweitgrößte Medienkonzern Deutschlands. Zu Kirchs Medienimperium gehörten nicht nur die TV-Sender ProSieben und Sat.1, sondern auch Anteile am Verlag Axel Springer sowie die Übertragungsrechte für die deutsche Fußball-Bundesliga und die Fußball-Weltmeisterschaften 2002 und 2006. Als entscheidend für den Niedergang des Medienunternehmens gelten Aussagen eines Bankmanagers, welche die Kreditwürdigkeit der Kirch-Gruppe in Zweifel gezogen hatten.
Ein weiteres bekanntes Traditionsunternehmen, das Insolvenzantrag stellen musste, ist der Augsburger Baukonzern Walter Bau. In seiner 140-jährigen Geschichte war der schwäbische Bauriese an der Errichtung und Sanierung Tausender Bauwerke beteiligt. Zu den bedeutendsten Baumaßnahmen zählen unter anderem der Wiederaufbau der Dresdener Frauenkirche, der Bau des Münchner Flughafens sowie die Errichtung des Baiyoke Towers in Bangkok. Als einige Großkunden ihre Rechnungen nicht komplett bezahlten, geriet das Bauunternehmen Anfang der 2000er-Jahre in finanzielle Schwierigkeiten. Ausgeklügelte Sanierungskonzepte, ein harter Sparkurs sowie eine Fusion mit anderen Bauunternehmen konnten das Ende der Walter Bau AG nicht verhindern. Seit 2005 ist das Augsburger Traditionsunternehmen Geschichte.
Harte Einschnitte erlebte auch das traditionsreiche Glashandwerk im Bayerischen Wald. Seit November 2021 steht die Produktion in der Glasmanufaktur von Poschinger in Frauenau still. Die Ursprünge der geschichtsträchtigen Glashütte reichen bis ins Jahr 1568 zurück. Damit war das Unternehmen nicht nur die älteste Glasmanufaktur Deutschlands, sondern auch weltweit die älteste, durchgehend in Familienbesitz befindliche Glasmanufaktur.
Nachdem die Massenproduktion von Biergläsern nicht mehr wirtschaftlich war, hatte sich das Unternehmen zuletzt auf Sonder- und Spezialanfertigungen konzentriert, etwa für die Medizintechnik. Als einen der Gründe für das Aus der Glashütte nannte Benedikt von Poschinger, der den Betrieb in 15. Generation führte, die gestiegenen Gaspreise.
Auch das Glashandwerk ist nicht vorm Scheitern befreit. Foto: iStock/Serhii Bobyk
Gibt es ein Rezept für den Erfolg bayerischer Traditionsunternehmen?
Gründe zum Scheitern gibt es viele. Wer aber als Traditionsunternehmen in Bayern bestehen will, sollte weiterhin auf diese Erfolgsformel setzen: Die Kombination aus bayerischer Kultur, Familienführung, Qualität, Handwerkskunst und Innovation. Langfristigkeit, Anpassungsfähigkeit und die Verbindung von Tradition und Moderne machen Unternehmen so über Generationen hinweg erfolgreich. Sie zeigen, dass Erfolg von mehr als nur kurzfristigen Gewinnen abhängt.
Was ist eigentlich ein Traditionsunternehmen?
Viele Geschäfte und Unternehmen werben heute mit ihrer langjährigen Erfahrung, denn Zusätze wie „gegründet 1887“ oder „Qualität seit 1907“ machen sich im Firmennamen einfach gut. Eine lange Firmenhistorie wirkt auf potenzielle Kundinnen und Kunden vertrauenserweckend und kann die Kaufentscheidung maßgeblich beeinflussen. Doch wer darf überhaupt von sich behaupten, ein „Traditionsunternehmen“ zu sein? Da es für diesen Begriff keine eindeutige Definition gibt, beschäftigt die Frage, was denn nun ein Traditionsunternehmen ausmacht, immer wieder die Gerichte des Landes. Mit falschen Angaben zur Firmenhistorie zu werben, kann unzulässig sein, urteilte das Oberlandesgericht München im Jahr 2013.
Wer sein Unternehmen beispielsweise älter schummelt, als es in Wahrheit ist, verstößt gegen das Wettbewerbsrecht. Allerdings stellte das Landgericht Hamburg 2020 fest: Trotz eines Inhaberwechsels oder Änderungen des Firmennamens oder der Rechtsform darf ein Unternehmen mit seiner langjährigen Tradition beworben werden. Selbst ein 2017 gegründeter Betrieb kann so ein Traditionsunternehmen sein – nämlich dann, wenn er die wirtschaftliche Aktivität eines anderen, zuvor erworbenen Unternehmens fortführt. Entscheidend sei die wirtschaftliche Fortdauer während des behaupteten Zeitraums, heißt es in einem Beschluss des OLG Frankfurt aus dem Jahr 2021. Traditionsunternehmen ist also nicht gleich Traditionsunternehmen. Kundinnen und Kunden, die Wert auf die Historie eines Unternehmens legen, sollten sich daher die Mühe machen, eigene Nachforschungen anzustellen. Häufig sind Angaben zu Alter und Geschichte eines Betriebes auf deren Homepage zu finden.
Natalie Decker
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