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1 – Mobilität mit und ohne Auto

Herr Wulfhorst, obwohl alle von der Verkehrswende sprechen, kaufen und fahren die Menschen weiter Autos. Das kann man am wachsenden Fahrzeugbestand, übrigens auch in Städten, ablesen. Welche Erklärung hat die Wissenschaft dafür?

Die Zukunft der Mobilität in Ballungsräumen wie München, denen bereits in naher Zukunft aufgrund von Bevölkerungswachstum und städtebaulicher Verdichtung der Verkehrsinfarkt droht, war Thema der Diskussionsrunde in der Panoramalounge des Süddeutschen Verlages. Fotos: The Point of View Photography

Gebhard Wulfhorst – Der Autobesitz steigt weltweit, weil nach wie vor mit dem ökonomischen Wachstum und Wohlstand diese Form der individuellen Mobilität wächst. Neben dem immer noch mit der Wahl des Autos verknüpften Status hat das natürlich mit dem damit verbundenen Komfort zu tun. Auf der anderen Seite kann man auch mit ganz anderen Verkehrsmitteln individuell mobil sein, etwa mit dem öffentlichen Verkehr, dem Fahrrad oder innovativen Formen wie den Sharing-Modellen. Die Diskussion um die Mobilität der Zukunft sollte nicht gegen das Auto geführt werden, sondern um die sinnvolle Verknüpfung aller Mobilitätsformen.

 

Noch stehen und fahren in der Stadt sehr viele Autos. Frau Effner, sollte es in der Stadt nicht bequemer sein, mit dem Fahrrad als mit dem Auto zu fahren?

Sabine Effner – Die Wahl des Verkehrsmittels hängt stark von der Situation ab. Gerade in der Stadt wird schon sehr viel Rad gefahren. Aufgrund der Corona-Krise hat der Radverkehr im vergangenen Jahr in München noch einmal sehr stark zugenommen. Ich persönlich fahre in der Stadt fast nur mit dem Rad, weil es für mich das Bequemste ist, um schnell von A nach B zu kommen. Das gilt natürlich nur, solange es nicht stark regnet, dann nutze ich den ÖPNV. Aber ich besitze auch ein Auto, um in die Region oder in die Berge zu fahren, weil die Zugverbindungen dorthin nicht immer so günstig oder die Züge sehr voll sind. Deshalb geht es in der Mobilitätspolitik darum, die Möglichkeiten zu schaffen, um situativ das richtige Verkehrsmittel einzusetzen. Grundsätzlich muss man aber feststellen, dass die Stadt aktuell noch weitgehend so aussieht, wie sie in den 1960er- und 1970er-Jahren sehr autoorientiert geplant wurde. Deshalb muss der Komfort für den öffentlichen Personennahverkehr und die Fahrradmobilität noch gesteigert werden.

„IN DER STADT WIRD SCHON SEHR VIEL RAD
GEFAHREN. AUFGRUND DER CORONA-KRISE HAT DER RADVERKEHR IM VERGANGENEN JAHR IN MÜNCHEN NOCH EINMAL STARK ZUGENOMMEN.“

Herr Rosenbusch, was kann man denn tun, um den Komfort im öffentlichen Nahverkehr zu verbessern und die Leute zum Umstieg zu bewegen?

Bernd Rosenbusch – Das entscheidende Wort ist bereits gefallen: Bequemlichkeit. Ich habe erst kürzlich in einer Studie gelesen, dass die Menschen in Österreich vor 100 Jahren noch zehn Kilometer am Tag zu Fuß gegangen sind, heute dagegen nur noch 800 Meter. Das wird in Deutschland nicht viel anders sein. In meiner Kindheit sind die meisten Schüler noch zu Fuß zur Haltestelle von Bus oder S-Bahn gelaufen und sind dann weitergefahren. Das ist heute ein No Go. Da fährt die Mutter das Kind bis vor die Schule und holt es mittags wieder ab. Den Schulstau, den man heute beobachten kann, gab es früher nicht. Das hat etwas mit Bequemlichkeit zu tun. Wenn wir dem begegnen wollen und mehr Leute öffentlich fahren sollen, müssen wir den Wunsch nach Bequemlichkeit zurückdrängen. Die U-Bahn in München macht es vor: 40 Prozent der Münchner haben kein eigenes Auto mehr, sondern fahren mit dem MVV. Wenn ich es nicht weit zur nächsten Haltestelle habe und die U-Bahn im Fünf-Minuten-Takt fährt, dann habe ich die Bequemlichkeit. Wir müssen also ein Angebot schaffen, das die Menschen dort abholt, wo sie wohnen. Dann steigen sie auch um. Darauf zu setzen, dass die Debatte um den Klimawandel die Leute dazu bewegt, wieder weitere Strecken zu Fuß zur nächsten Haltestelle zu laufen, halte ich für blauäugig. 

Prof. Dr.-Ing. Gebhard Wulfhorst von der TUM wendet sich nicht gegen das Auto, sondern möchte alle Mobilitätsformen sinnvoll miteinander verknüpfen.

Wenn schon so viele Münchner auf das eigene Auto verzichten, warum haben wir trotzdem so große Probleme mit dem motorisierten Individualverkehr in der Stadt?

Bernd Rosenbusch – Etwas überspitzt formuliert kann man sagen, dass das Verkehrsproblem der Stadt München nicht der Münchner ist. Denn der hat oft gar kein Auto. Das Problem sind vielmehr all die anderen, die täglich rein- und rausfahren.

Sabine Effner – Fairerweise muss man festhalten, dass ein Drittel des Aufkommens auf den Wirtschaftsverkehr entfällt. Der ist auch notwendig, denn sonst würden uns in München die Handwerker fehlen, die fast alle von außerhalb in die Stadt kommen. Hinzu kommt der Lieferverkehr, der in der Pandemie noch einmal enorm zugenommen hat.

 

Herr Fischer, wie sieht das denn in der Innenstadt aus, wo die in Ihrer Interessengemeinschaft vereinten Händler und Gewerbetreibenden ihre Geschäfte haben?

Wolfgang Fischer – In der Innenstadt macht der Wirtschaftsverkehr sogar 60 Prozent des Aufkommens aus, wenn die Zahlen einer älteren IHK-Studie noch stimmen. Das heißt aber auch, dass die Menschen dort schon viel multimodaler mit MVV, Rad oder zu Fuß unterwegs sind, als die Politik denkt. Für Fahrten aufs Land ist das Auto oft die einfachste Wahl. Die Leute kombinieren also die verschiedenen Verkehrsmittel so, wie es für sie am praktischsten ist. Die Zahlen aus der Studie „Mobilität in Deutschland“ belegen das, was wir seit Jahren sagen: Die Münchner Innenstadt ist der nachhaltigste Wirtschafts- und Einkaufsstandort, den es gibt. 92 Prozent der Beschäftigten, Kunden und Gäste sind ohne Auto unterwegs, nur acht Prozent kommen mit dem Pkw als Fahrer oder Mitfahrer in die Stadt. Das ist selbst bundesweit absolute Spitze. Wenn man das mit den Fachmarktzentren im Umland vergleicht, dann ist es dort vermutlich genau umgekehrt. Von den 70.000 Beschäftigten innerhalb des Altstadtrings wohnen jedoch viele außerhalb und müssen in die Stadt pendeln. Je weiter draußen die Leute wohnen, desto eher nutzen sie das Auto. Angesichts des enormen Wachstums rund um München wird das für die Stadt zunehmend zum Problem. 

„DAS VERKEHRSPROBLEM DER STADT MÜNCHEN
IST NICHT DER MÜNCHNER. DENN DER HAT OFT GAR KEIN AUTO.“

Da stellt sich doch die Frage, warum so viele Pendler immer noch das Auto bevorzugen, obwohl sie täglich vor und auf dem Mittleren Ring im Stau stehen?

Bernd Rosenbusch – Wir führen regelmäßig Kundenbefragungen durch. Die Nutzer von Bus und Bahn äußern sich grundsätzlich sehr zufrieden über den MVV, wenn nicht gerade ein Stellwerk ausfällt. Probleme haben wir in vielen Neubaugebieten ohne S-Bahn-Anschluss. Als ich noch bei der Bahn gearbeitet habe, wurde das Verkehrsverhalten im Umland untersucht. Dabei kam heraus, dass bei einer Entfernung zwischen zwei und fünf Kilometern zur nächsten S-Bahn-Haltestelle der Zustrom an Pendlern abreißt. Das heißt, wer nicht in zwei bis fünf Kilometern zum Bahnhof kommt, bleibt im Auto sitzen. Dieser Umstand sollte bei der Planung von Neubaugebieten stärker berücksichtigt werden. Das heißt, die erforderlichen Nahverkehrsangebote müssen gleichzeitig geplant und eingerichtet werden. In England gibt es eine Reihe von Städten, die man sich diesbezüglich zum Vorbild nehmen kann. Wir müssen das Nahverkehrsangebot in die Siedlungen bringen, damit die Menschen es auch nutzen.

MVV-Geschäftsführer Dr. Bernd Rosenbusch hält die frühzeitige Planung von Nahverkehrsangeboten in Neubaugebieten für das entscheidende Motiv, ob die Menschen das Auto nutzen.

Wolfgang Fischer – An dieser Stelle muss man ganz klar sagen: Wenn wir als Gesellschaft eine andere Mobilität wollen, dann müssen wir den öffentlichen Nahverkehr mit den dazu notwendigen Mitteln ausstatten, damit ein attraktiver Anreiz wie das 365-Euro-Jahresticket für alle geschaffen wird. Wir verstehen nicht, warum das im „reichen“ Nürnberg möglich ist, im völlig „verarmten“ München dagegen nicht gehen soll. Wir können nicht nur auf der einen Seite mit Verboten, Einschränkungen und Sperrungen arbeiten, sondern müssen auf der anderen Seite positive Anreize zum Umstieg bieten.

„Je weiter draußen die Leute wohnen, desto eher nutzen sie das Auto. Angesichts des enormen Wachstums rund um München wird das zum Problem.“

Wie könnten solche positiven Anreize gesetzt werden?

Gebhard Wulfhorst – Die Standortentwicklung ist hier ein ganz wichtiger Punkt. Das gilt nicht nur für Wohngebiete, sondern auch für Arbeitsplätze, Gewerbe- und Einzelhandelsstandorte, die ebenfalls ein hohes Verkehrsaufkommen generieren. Plant man solche Standorte mit einem stimmigen Mobilitätskonzept, dann nutzen mehr Leute den öffentlichen Nahverkehr oder das Rad. Die Umlandgemeinden freuen sich ja, wenn viel Geld in die Hand genommen wird, um die Infrastruktur auszubauen. Dann sollten sie dies aber auch bei ihrer eigenen Standortentwicklung besser berücksichtigen, um den öffentlichen Nahverkehr attraktiv zu gestalten. Ein Blick auf andere Länder zeigt übrigens, wie so ein Anreiz aussehen kann: Dort werden die mit dem Ausbau der Infrastruktur einhergehenden Wertsteigerungen von Grundstücken zum Teil für die Finanzierung dieses Ausbaus herangezogen. Man sollte den Blick daher nicht nur auf einzelne Verkehrsmittel richten, sondern auf ein sinnvolles Gesamtkonzept, bei dem alle Faktoren rund um Stadtentwicklung und Mobilität berücksichtigt werden und die Beteiligten miteinander kooperieren.

„Der Absehbare Wandel beim Antrieb zum E-Auto ändert nichts an der Enge in der Stadt.“

Wenn von Verkehrswende gesprochen wird, geht es meist darum, ob sie mit oder nur ohne Auto gelingt. Oder erleben wir nur eine Wende beim Antrieb hin zum E-Auto, ohne dass sich an den Verkehrsproblemen selbst etwas ändert, Herr Böschl?

Gerhard Böschl – Zunächst einmal sollte man sich die Frage stellen, warum sich das Verkehrsaufkommen so gestaltet, wie es momentan ist. Ich wohne in Landshut, arbeite in München und erlebe jeden Tag den Verkehr auf den Autobahnen rund um München. In fast allen Autos sitzt jeweils nur eine Person. Muss das wirklich so sein? Oder besteht die Möglichkeit, hier den Hebel anzusetzen, um die Verkehrsprobleme zu verringern? Die Zahlen für Kfz-Neuzulassungen liegen seit Jahren konstant bei etwas mehr als drei Millionen Fahrzeugen. Natürlich müssen nicht alle Autos einen Verbrennungsmotor haben. Der absehbare Wandel beim Antrieb zum Elektro-Auto ändert jedoch nichts an der Enge in der Stadt. Dort macht die Jugend heute zum Teil ganz bewusst nicht mehr den Führerschein oder legt sich seltener ein Auto zu. Sie nutzt stattdessen neue Sharing-Modelle oder die öffentlichen Verkehrsmittel. Das war in meiner Jugendzeit noch ganz anders. Der Führerschein mit 18 war das Nonplusultra. Beim Blick auf Elektroautos ist es aber auch so, dass die aktuelle Entwicklung vor allem durch die massive Förderung getrieben wird. Von den Elektroautos stehen bislang nur wenige beim Endverbraucher vor der Tür.

Wolfgang Fischer – Blickt man mal über den Münchner Tellerrand, dann sieht man schnell, dass die Situation im urbanen Raum nicht mit der auf dem Land vergleichbar ist. Das Phänomen einer Jugend ohne Führerschein gibt es ausschließlich in der Stadt, nicht aber im Umland oder den ländlichen Gebieten.

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Aber sie sollten künftig intelligenter eingesetzt werden.

1 – Mobilität mit und ohne Auto2 – Mobilität im Jahr 20403 – Verteuerung, Verbieten oder Anreize schaffen?4 – Die IAA 2021 in München

Der runde Tisch teilnehmer

  • Gerhard Böschl

    ist seit April 2010 Geschäftsführender Gesellschafter der Automobilforum Kuttendreier GmbH,

    die mit 140 Mitarbeitern an vier Münchner Standorten zuletzt einen Jahresumsatz von mehr als 100 Millionen Euro erwirtschaftete. Der Kfz-Meister und Betriebswirt ist seit 35 Jahren auf verschiedenen Positionen für das Autohaus tätig, seit 23 Jahren im Konzern der AVAG Holding, zu der die Automobilforum Kuttendreier GmbH gehört.

  • Sabine Effner

    ist seit Februar 2021 Stadtdirektorin und Stellvertreterin des Mobilitätsreferenten der Landeshauptstadt München. 

    Sie studierte Rechtswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Nach dem zweiten Staatsexamen begann sie ihre Laufbahn in der Rechtsabteilung des Kreisverwaltungsreferats, wo sie für die Hauptabteilung Straßenverkehr zuständig war. 2003 übernahm sie die Leitung des Veranstaltungs- und Versammlungsbüros. 2012 wurde sie Leiterin der Abteilung Verkehrsmanagement.

  • Wolfgang Fischer

    ist seit Februar 2004 Geschäftsführer des CityPartnerMünchen e.V., 

    einer Unternehmensinitiative der Münchner Innenstadt. Nach seinem Studium der Wirtschaftsgeographie, Kommunikationswissenschaft und Kunstgeschichte an der TU München übernahm Fischer verschiedene Positionen in Standortberatung und Marktforschung. 1996 wurde er Geschäftsführer im Landesverband des Bayerischen Einzelhandels, 2001 Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands LAG-Bayern.

  • Robert Klug

    ist seit September 1993 Geschäftsführer der Claus Heinemann Elektroanlagen GmbH in Unterföhring. 

    Der gelernte Elektrotechniker begeistert sich für neue technische Entwicklungen und ist seit Oktober 2013 CEO der iHaus AG. Das Spin-off der Claus Heinemann Elektroanlagen GmbH beschäftigt sich mit Internet of Things-Lösungen für Gebäude und Mobilität.

  • Jürgen Mindel

    ist seit Oktober 2020 Geschäftsführer des Verbandes der Deutschen Automobilindustrie (VDA) 

    und verantwortet den Geschäftsbereich Kommunikation und Medien & Internationale Automobilausstellung. Nach dem Studium der Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin war Mindel unter anderem für den Deutschen Bundestag tätig, ehe er 2007 zum VDA wechselte.

  • Dr. Bernd Rosenbusch

    ist seit Oktober 2018 Geschäftsführer der Münchner Verkehrs- und Tarifverbund GmbH (MVV). 

    Nach seinem Studium der Betriebswirtschaft an der Universität Mannheim mit anschließender Promotion begann er seine Karriere 2001 bei der Deutschen Bahn AG. 2015 wurde er Vorsitzender der Geschäftsführung und Kaufmännischer Geschäftsführer der Bayerischen Oberlandbahn GmbH und der Bayerischen Regiobahn GmbH.  

  • Prof. Dr.-Ing.
    Gebhard Wulfhorst

    leitet seit Juli 2006 den Lehrstuhl für Siedlungsstruktur und Verkehrsplanung der Technischen Universität München (TUM). 

    Nach seinem Studium des Bauingenieurwesens in Aachen und Paris promovierte er 2003 an der RWTH Aachen. Er ist im Aufsichtsrat des europäischen Innovationsnetzwerkes EIT Urban Mobility und Co-Sprecher des BMBF-Zukunftsclusters MCube, das ab Herbst 2021 in der Metropolregion München startet.

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