
Klimaschutz braucht Vielfalt
Wie wir künftig CO₂-neutral tanken können
Der Klimaschutz ist eine der größten Aufgaben unserer Zeit. Die Herausforderungen, unsere Energieversorgung künftig weitgehend CO₂-neutral zu gestalten, sind gewaltig. Denn fossile Kraft- und Brennstoffe spielen derzeit noch eine sehr große Rolle. Mineralölprodukte sind deutschlandweit der Energieträger Nummer eins. Sie stellen derzeit allein rund 94 Prozent der Antriebsenergie im Verkehrssektor. Hinzu kommen vier Prozent flüssige Biokraftstoffe. Und in 5,4 Millionen Gebäuden sorgt Heizöl für wohlige Wärme. Selbst wenn wir den Verbrauch deutlich effizienter gestalten: Mit heimischem Wind- und Sonnenstrom allein wird Deutschland künftig kaum auskommen, wenn die heute noch fossilen Energieträger durch erneuerbare ersetzt werden sollen.
Grüner Strom allein aus Deutschland reicht nicht aus
Keine zehn Prozent betrug 2019 der Anteil erneuerbar erzeugten Stroms am gesamten Endenergieverbrauch. Die Ausbaumöglichkeiten für Wind- und Solarenergie sind begrenzt – und gerade diese beiden Formen der Energiegewinnung sind zudem abhängig vom Wetter. Deutschland wird daher auch in Zukunft kaum energieautark werden. Eine künftige, weitgehend klimaneutrale Gesellschaft wird auf „grüne“ Energieimporte angewiesen sein.
Mit ihnen wäre es zudem möglich, erneuerbare Energie auch über große Entfernungen zu importieren. Denn erneuerbare flüssige Kraftstoffe verfügen über eine hohe Energiedichte und lassen sich besonders gut transportieren und speichern. Darüber hinaus ist ihr Einsatz in der bereits bestehenden Anwendungstechnik und Infrastruktur zum Tanken und Lagern möglich.
CO₂-neutrale Fuels aus nachhaltigen erneuerbaren Quellen
„Erneuerbare flüssige Kraftstoffe“ sind nachhaltige Energieträger, bei denen statt Erdöl ganz oder zum großen Teil klimaneutrale Rohstoffe eingesetzt werden und bei deren Herstellung und Verwendung keine oder nur sehr geringe Treibhausgasemissionen entstehen. Regenerative Kraftstoffe werden bereits heute mit fossilem Benzin und Diesel kombiniert, und ihr Anteil an den an der Zapfsäule verkauften Kraftstoffen wird weiter zunehmen. Wenn die fossile Komponente in den an der Zapfsäule verkauften Kraftstoffen vollständig durch erneuerbare flüssige Energieträger ersetzt wird, werden diese Kraftstoffe CO₂-neutral sein. Eine solche Defossilisierung kann mit verschiedenen Rohstoffen erfolgen.
Derzeit sind insbesondere biomassebasierte Produkte auf dem Markt erhältlich. Für die Zukunft geht es darum, Art und Anzahl der regenerativen Quellen zur Herstellung der alternativen Kraftstoffe zu erweitern. Die entsprechenden Basistechnologien umfassen zum Beispiel nachhaltige Biokraftstoffe, die etwa durch die Hydrierung von Pflanzenölen, Abfällen und Reststoffen gewonnen werden und eine Konkurrenz mit dem Nahrungsmittelanbau vermeiden. Aufgrund des absehbar großen Bedarfs werden auch synthetische Energieträger aus regenerativ erzeugtem Wasserstoff und CO₂ als Kohlenstoffquelle benötigt – auch Power-to-Liquid (PtL) oder E-Fuels genannt.
Markthochlauf im Straßenverkehr
Über den Einsatz erneuerbarer flüssiger Kraft- und Brennstoffe im Pkw-Verkehr und bei der Wärmeversorgung von Gebäuden wird derzeit noch diskutiert. In anderen Bereichen wie der Schifffahrt, der Luftfahrt sowie Teilen des Schwerlastverkehrs per Lkw, die heute im Wesentlichen auf Mineralölprodukte angewiesen sind, gibt es kaum strombasierte Alternativen.

Allerdings ist wichtig, dass CO₂-neutrale flüssigen Kraftstoffe nicht nur in Nischenbereichen zum Einsatz kommen. Denn je breiter die Einsatzmöglichkeiten sind, desto rascher lassen sich auch substanzielle Mengen anbieten. Zur schnellen Schaffung eines entsprechenden Marktes bietet sich vor allem der Straßenverkehr an. Der Grund dafür liegt unter anderem in zahlreichen, bereits bestehenden Regulierungen und Steuern, die durch eine Umgestaltung den Markthochlauf erneuerbarer Kraftstoffe ermöglichen können, ohne dabei Verbrauchern und Wirtschaft hohe zusätzliche Lasten aufzubürden. Von einem solchen Hochlauf würden im zweiten Schritt dann auch andere Anwendungsbereiche wie die Schifffahrt und der Flugverkehr profitieren.
Seitens der Mineralölwirtschaft ist die Bereitschaft da, einen solchen Weg zu gehen. So hat der Verband FuelsEurope im Juni einen Plan mit dem Namen „Clean Fuels for All“ vorgestellt. Dieser zeigt auf, dass bereits bis 2035 die CO₂-Emissionen im Verkehrssektor durch alternative flüssige Kraftstoffe in Europa um bis zu 100 Millionen Tonnen CO₂ gesenkt werden können. Im Jahr 2050 könnten allein in Europa bis zu 150 Millionen Tonnen erneuerbarer flüssiger Kraftstoffe hergestellt werden. Damit ließen sich jährlich mehr als 400 Millionen Tonnen CO₂ einsparen. Hinzu könnten Importe aus außereuropäischen Ländern kommen.
Verlässliche Rahmenbedingungen für Investitionen
Um diese Entwicklung in Gang zu setzen, sind enorme Investitionen nötig. „Clean Fuels for All“ nennt hier bis 2050 eine Größenordnung von europaweit 400 bis 650 Milliarden Euro. „Für solche Investitionen sind verlässliche politische Rahmenbedingungen notwendig“, erklärt daher Prof. Dr. Christian Küchen, Hauptgeschäftsführer des deutschen Mineralölwirtschaftsverbandes (MWV), der an „Clean Fuels for All“ mitgearbeitet hat. „Nur so ist eine gewisse Sicherheit gegeben, dass für die Investoren auch ein Geschäftsmodell entsteht.“ Das bekräftigt Adrian Willig, Geschäftsführer des Instituts für Wärme und Mobilität (IWO): „Die Rolle alternativer Kraft- und Brennstoffe wird noch nicht gebührend anerkannt – weder im Straßenverkehr noch bei der Wärmeversorgung. Hier besteht politischer Handlungsbedarf – auf europäischer und auf nationaler Ebene.“
„Die Rolle alternativer Kraft- und Brennstoffe wird noch nicht gebührend anerkannt – weder im Straßenverkehr noch bei der Wärmeversorgung.“
Adrian Willig, IWO-Geschäftsführer
Vorschläge, wie solche Rahmenbedingungen gestaltet werden könnten, liegen bereits vor. Küchen und Willig empfehlen, dabei vor allem auf marktwirtschaftliche Elemente zu setzen. Dazu sollte etwa ein kluger und konsequenter CO₂-Preis auf herkömmliche Kraft- und Brennstoffe gehören.
Gleichbehandlung mit E-Autos nötig
„Das würde die regenerativen Alternativen sofort attraktiver machen, da für sie der CO₂-Preis ja nicht gälte“, betont Professor Küchen. Die Verbraucher würden dabei insgesamt nicht deutlich höher belastet. „Zudem sollte die CO₂-Flottenregulierung Fahrzeuge, die CO₂-neutrale Kraftstoffe nutzen, genau so behandeln wie E-Autos“, ergänzt Willig. Es lohne sich, so die beiden Experten, diesen Weg zu gehen, denn nicht nur die Kosten sind am Anfang hoch, sondern auch die Chancen für mehr Klimaschutz.