Interview

Dreifache Herausforderung

Versorgungssicherheit und Klimaschutz bei bezahlbaren Kosten – das sind die Anforderungen an zeitgemäße Energieversorgung. Doch davon ist Deutschland derzeit weit entfernt.

Dreifache Herausforderung

Fruchtbarer Austausch in angeregter Runde (v.l.n.r. Dirk Burmeister, Adrian Willig, Prof. Dr. Ines Zenke, Katharina Sailer und Olaf in der Beek) – Foto: en2x

Was es jetzt braucht, um die Energietransformation voranzubringen, hat in Berlin eine hochkarätige Runde aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Praxis auf Einladung von en2x Wirtschaftsverband Fuels und Energie e.V. diskutiert.

Wir lesen und hören jeden Tag über die aktuellen Herausforderungen in der Energieversorgung. Wie nehmen Sie die Situation wahr, Frau Prof. Zenke?

Prof. Dr. Ines Zenke: Die aktuelle Lage ist sehr beunruhigend. Die hohen Energiepreise allein führten bereits zu Verlagerungen und der Einstellung von Produktionen. Die ersten Folgen hiervon sehen wir in den Lieferketten. Wenn Grundstoffe fehlen, kann auch derjenige nicht produzieren, der eigentlich noch günstig Gas für den Betrieb eingekauft hat. Und dessen (Vor-)Produkte fehlen wieder dem nächsten Unternehmen. Es wird Zeit, die Preise in den Griff zu bekommen!

Wir reden sehr viel übers Gas – wie sieht es denn beim Öl aus, Herr Willig?

Adrian Willig: Die Mineralölindustrie befindet sich mitten in der Transformation von fossilen zu nachhaltigen Energieträgern. Aber derzeit ist Mineralöl gefragt wie lange nicht; es ist der am häufigsten eingesetzte Primärenergieträger. Viele Unternehmen in der Industrie versuchen gerade, rasch von Gas auf Öl umzuschalten. Wir sind beim Ausstieg aus russischem Öl bis zum Jahresende auf einem sehr guten Weg. Doch ist es nicht immer einfach, Alternativen in ausreichender Menge und Qualität zu finden. Insbesondere in Ostdeutschland sind die Herausforderungen groß, komplett von russischem Rohöl unabhängig zu werden.

Olaf in der Beek: Auch bei der Kohle haben wir Engpässe, weil durch das Niedrigwasser und reparaturbedürftige Eisenbahnwaggons die Transportmöglichkeiten beschränkt sind. Aber: Wir arbeiten in der Regierung Tag und Nacht daran, sowohl Versorgungssicherheit zu gewähren und zugleich die Energiekosten in den Griff zu bekommen. In nur wenigen Monaten haben wir schon sehr viel erreicht. Ja, dabei unterlaufen uns auch manchmal handwerkliche Fehler, die wir rasch korrigieren müssen. Das Thema Preise steht bei uns ganz oben auf der Agenda. Brüssel wird da hoffentlich rasch eine Lösung entwickeln, sonst machen wir es direkt in Berlin.

Gas, Öl, Kohle – das sind alles fossile Energieträger, deren Nutzung wir aus Klimagründen zurückfahren wollten. Opfern wir den Klimaschutz für die Versorgungssicherheit?

Dirk Burmeister: Wir können uns trotz der akuten Probleme nicht zurücklehnen beim Ausbau der Erneuerbaren. Bei uns in Heide, wo wir ein eigenes Ökosystem für erneuerbare Energien aufgebaut haben, passiert da zum Glück sehr viel. Wir sehen, dass die Investoren inzwischen auch mutiger sind. Was sich vorher für sie wegen des günstigen russischen Gases nicht gelohnt hat, geht jetzt rasch in die Umsetzung. Es muss aber alles noch viel schneller gehen. Bei den LNG-Terminals geht es zügiger als zuvor, aber das reicht nicht – und LNG ist für uns auch nur eine Brückentechnologie. Wir denken da schon weiter. Denn wir brauchen mehr grünen Strom, mehr Wasserstoff. Die Nordsee bietet da viele Möglichkeiten.

Katharina Sailer: Kurzfristig wird die Lösung sein, Importe weiter zu diversifizieren. Langfristig sollten wir jedoch schauen, wie wir vor Ort grüne Energie erzeugen. In Bezug auf die Nationale Wasserstoffstrategie wurde beispielsweise der Fokus von Anfang an auf Importe gelegt. Wir sollten jedoch auch der inländischen Produktion mehr Raum geben.

en2x

Dirk Burmeister (Entwicklungsagentur Region Heide) im engagierten Austausch mit Adrian Willig (en2x) und Prof. Dr. Ines Zenke (Kanzlei Becker Büttner Held) – Foto: en2x

Zenke: Bei den Unternehmen ist der Wille zur Transformation groß. Doch es gibt viele Hindernisse. Viele haben im Einklang mit den politischen Vorgaben auf die Brückentechnologie Gas gesetzt. Wasserstoff ist auch ein Gas, aber so einfach kann die Infrastruktur nicht auf Wasserstoff umschwenken. Geht es nach einem europäischen Regelungsentwurf, soll zum Beispiel derjenige, der Gasnetze betreibt, keine Wasserstoffnetze betreiben dürfen. Dazu kommen noch viele bürokratische Hürden, Genehmigungsverfahren dauern oft viel zu lange, eine Menge Schwung geht in den behördlichen Verfahren verloren. Und oft genug bestimmt der Langsamste das Tempo.

Sailer: Selbst die Nachhaltigkeitskriterien sind nicht immer eindeutig definiert. Wann ist Wasserstoff nachhaltig, und gilt die Zuordnung dann auch langfristig? So haben Investoren das Risiko, dass ihre Wasserstoffproduktion später gar nicht als nachhaltig gilt.

In der Beek: Wir sind völlig überbürokratisiert in Deutschland. Mit dem Hebel „überragendes öffentliches Interesse“ haben wir aber den Prozess beim LNG-Terminal deutlich beschleunigt. Das hilft, jetzt die Kapazitäten von erneuerbarer Energie schneller aufzubauen.

Zenke: Ich will keineswegs die Prüftiefe oder Klagerechte beschneiden, das wäre auch europarechtlich schwierig umzusetzen. Aber es brauchte „Einsatztruppen“ von erfahrenen Experten zur fachlichen Unterstützung bei der Genehmigung wichtiger Projekte. Unabhängige, von den Behörden anerkannte Experten – bei denen kann dann beispielsweise eine Fachbehörde, die nicht jeden Tag Energiewendeprojekte dieser Art betreut, kurzfristig nachfragen, was möglich ist. Mehr Personal ist zudem wichtig, auch durch Einbindung Privater. Das sind dann die Projektmanager, die die Behörden unterstützen und in einigen Bundesländern schon aktiv sind.

In der Beek: Der Rechtsstaat darf keinesfalls ausgehebelt werden. Doch manchen Aufwand kann man reduzieren – so wie beim Zertifizierungszwang bei kleineren Photovoltaikanlagen. Politik muss wieder mehr Verantwortung übernehmen, statt sich 120-prozentig abzusichern. Sonst planen wir noch in fünf Jahren.

Zenke: In den Niederlanden ist wohl übrigens der Staat Mitantragsteller bei einem Großprojekt. Dann hat der Staat ein ureigenes Interesse daran, dass der Prozess beschleunigt wird.

Willig: Wir müssen aufpassen, dass uns andere Länder bei der Energie nicht überholen. Es gibt bei uns zu viele Hürden, bevor es überhaupt losgehen kann. Damit ersticken wir auch gute Ansätze zu oft schon im Keim. Ein Beispiel dafür sind die Kriterien für erneuerbaren Strom zur Produktion von grünem Wasserstoff.

en2x

Erster Austausch, bevor die Diskussionsrunde startet. Foto: en2x

Wie lange wird uns die aktuelle Diskussion noch begleiten?

Sailer: Ich bin zuversichtlich, dass wir in einigen Jahren unsere Struktur bei Energieimporten deutlich diversifiziert haben werden. Und dass wir auch die ungenutzten Einsparpotentiale in den Bereichen Gebäude und Verkehr ausnutzen, um den Energiebedarf zu reduzieren. Auch hier gilt es, Genehmigungsverfahren zu beschleunigen.

In der Beek: Wenn wir jetzt die Probleme des Strom- und Wärmemarkts angehen, werden wir in Zukunft die aktuellen Diskussionen nicht mehr führen müssen. Dazu braucht es ein besseres Mengenangebot an der Strombörse, dann beruhigen sich die Preise auch wieder. Der Schlüssel zu dauerhaft niedrigen Energiepreisen ist der weitere Ausbau erneuerbarer Energien.

Burmeister: Schon jetzt sehen wir nicht nur bei uns vor Ort gute Fortschritte. Dazu gehört der Ausbau und die Optimierung von Elektrolyseuren zur Umwandlung von Strom in Wasserstoff. Und wenn bald auch erste Großspeicher an den Start gehen – ein Thema, das leider in der Vergangenheit ziemlich vernachlässigt worden ist –, schaffen wir ganz neue Möglichkeiten. Übrigens auch neue Arbeitsplätze.

Zenke: Es ist bemerkenswert, wie innovativ die Wirtschaft in diesem Bereich mittlerweile ist. Was vor wenigen Jahren noch undenkbar oder wirtschaftlich völlig unrentabel war, ist heute Realität – denken Sie, ein etwas anderes Beispiel aus dem Umweltschutz, nur einmal an so etwas wie Toluol abbauende oder ölfressende Bakterien. Dennoch werden die nächsten zwei Jahre sehr herausfordernd sein, weil Energie teuer ist und sich daran vermutlich so schnell nichts ändern wird. Solange müssen wir uns leider auch auf einen gewissen Wohlstandsverlust einstellen.

Willig: Die Transformation wird nur gemeinsam mit den Verbrauchern funktionieren. Die Menschen müssen den Weg mitgehen und die damit verbundenen Änderungen mittragen. Dazu müssen wir die Nutzung von Erneuerbaren so einfach wie möglich machen, beispielsweise in der Mobilität durch eine umfassende Ladeinfrastruktur.

  • en2x

    en2x-Geschäftsführer Adrian Willig auf dem Weg zur Diskussionsrunde „Energiewende zwischen Kilmaschutz und Versorgungssicherheit“ in Berlin – Foto: en2x

  • en2x

    Olaf in der Beek, Bundestagsabgeordneter, Klimapolitischer Sprecher der Fraktion der Freien Demokraten (FDP) und Mitglied u. a. im Ausschuss für Klimaschutz und Energie, betonte die Fortschritte in der Energiepolitik, die die Regierung in kurzer Zeit umgesetzt hat – und welche Schritte noch ausstehen. Foto: en2x

  • en2x

    Katharina Sailer, Seniorexpertin Bioenergie und Erneuerbare Gase, Deutsche Energie-Agentur (dena): „Selbst die Nachhaltigkeitskriterien sind nicht immer eindeutig definiert. So haben Investoren das Risiko, dass ihre Wasserstoff-Produktion später gar nicht als nachhaltig gilt.“ Foto: en2x

  • en2x

    Dirk Burmeister, Vorstand und Wirtschaftsförderung der Entwicklungsagentur Region Heide, berichtete von eigenen Erfahrungen in Heide und wies auf die zahlreichen Möglichkeiten im Bereich erneuerbarer Energien hin, die die Nordsee bietet. Foto: en2x

  • en2x

    Prof. Dr. Ines Zenke, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Verwaltungsrecht, Partnerin Becker Büttner Held; Präsidentin des Wirtschaftsforum der SPD moniert: „Eine Menge Schwung geht in den behördlichen Verfahren verloren.“ Foto: en2x

An der Diskussion nahmen teil

Dirk Burmeister, Vorstand und Wirtschaftsförderung, Entwicklungsagentur Region Heide

Olaf in der Beek, Bundestagsabgeordneter, Klimapolitischer Sprecher der Fraktion der Freien Demokraten. Ausschuss für Klimaschutz und Energie. Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz.

Katharina Sailer, Seniorexpertin Bioenergie und Erneuerbare Gase, Deutsche Energie-Agentur (dena)

Adrian Willig, Hauptgeschäftsführer von en2x Wirtschaftsverband Fuels und Energie e.V.


Prof. Dr. Ines Zenke
, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Verwaltungsrecht, Partnerin Becker Büttner Held; Präsidentin des Wirtschaftsforums der SPD

Die Süddeutsche Zeitung ist weder für den Inhalt der Anzeige noch die darin enthaltenen Verlinkungen noch für ggf. angegebene Produkte verantwortlich.

Das könnte Sie auch interessieren

  • Von der Raffinerie zum Wasserstoff-Produzenten
    Nachhaltiger Umbau der fossilen Wirtschaft

    Es ist eine Art Generationenvertrag für das Klima: Bis 2045, so hat es die Bundesregierung beschlossen, soll Deutschland praktisch treibhausgasneutral sein.

  • Klimaschutz braucht Energievielfalt
    Klimaneutralität

    Die Klimaziele von Paris sind Konsens. Die Bundesregierung hat mit ihrem Vorhaben, bis 2045 klimaneutral zu sein, eine weitere Zielmarke gesetzt.

  • Energie ist mehr als Strom
    Disskusionsrunde

    Der Anteil fossiler Energieträger am Gesamtenergieverbrauch soll in den kommenden Jahren sinken. Welche Schritte dazu notwendig sind, um dieses Ziel auch zu erreichen, diskutierte eine Runde erfahrener Energie-Markt-Spezialisten.