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Mangelnder Respekt vor Lehrerinnen und Lehrern, Raufereien, Pöbeleien, Konzentrationsschwächen oder klagende Eltern, die Strafen und schlechte Noten ihrer Sprösslinge nicht akzeptieren wollen: In der Schule entladen sich gesellschaftliche und familiäre Konflikte wie unter einem Brennglas. Lehrerinnen müssen Erziehungsfehler ausbaden und mit selten ausreichenden öffentlichen Mitteln und mangelnder Digitalisierung Unterrichtsstoff in kurzer Zeit vermitteln, der Schüler fit für die Zukunft machen soll. Wie PISA-Studien der vergangenen Jahre zeigen, fallen deutsche Schüler im internationalen Vergleich vor allem in naturwissenschaftlichen Fächern und in Mathematik zurück. Dazu kommt der Lehrermangel, besonders bei sonderpädagogischen Lehrkräften. Immer weniger junge Menschen können sich vorstellen, den Lehrerberuf zu ergreifen. Die Corona-Pandemie und die dringende Aufnahme von Schülern aus der Ukraine kamen in den letzten Jahren als zusätzliche Herausforderungen in einer schon angespannten Lage hinzu.
Die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund und das gemeinsame Unterrichten von Schülern mit Handicap mit sogenannten Regelschülerinnen bleiben die größten Herausforderungen im Hinblick auf das große Ziel Bildungsgerechtigkeit. Mit der Ratifizierung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen haben sich die Bundesrepublik und die für Bildung zuständigen Bundesländer 2006 dazu verpflichtet, ein inklusives Bildungssystem voranzutreiben. Es soll selbstverständlich werden, dass Kinder mit und ohne Behinderung in der Schule gemeinsam lernen. Ein benachteiligender Unterricht an Sonderschulen soll vermieden werden. Der Verband Bildung und Erziehung (VBE), der als unabhängige Gewerkschaft die Interessen von rund 164.000 Pädagoginnen vertritt, unterstützt die Ziele der Inklusion und formulierte Bedingungen, die dafür notwendig sind. Dazu zählen die Beseitigung baulicher Einschränkungen, kleinere Klassen und die Doppelbesetzung aus Lehrkraft und Sonderpädagoge, die von professionellen Teams aus verschiedenen Bereichen unterstützt werden. Wichtig ist dem VBE zufolge auch eine bessere Aus-, Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften. Personal und Zeit sind demnach die wichtigsten Faktoren für eine gelungene Umsetzung der Inklusion. Doch viele Eltern, Schüler und auch Lehrkräfte sehen das gemeinsame Lernen nach wie vor skeptisch, wie Dr. Kerstin Große-Wöhrmann, Projektmanagerin für das Thema Inklusion bei der Bertelsmann-Stiftung meint. Es fehle eine klare Vorstellung, wie der Weg zu einer Schule für alle aussehen könne, schreibt Große-Wöhrmann. Jede einzelne Schule und jeder einzelne Pädagoge stehe vor der Herausforderung, das Schulsystem inklusiver zu machen und eine Vielzahl unterschiedlicher Entwicklungs-und Lernwege zu ermöglichen.
Fernschulen – wie etwa Impulse e.V. aus Wuppertal – bieten für Lehrkräfte und Pädagogen Weiterbildungen zur „Fachkraft für Inklusion“ an. Dabei werden Kenntnisse über rechtliche und sozial-politische Grundlagen und ein Überblick über zentrale Beeinträchtigungen und wichtige Störungsbilder bei Lernschwächen und Behinderungen vermittelt. Das bayerische Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB) hat Lehrpläne und Leitfäden für inklusiven Unterricht erstellt. Für einzelne Schüler sollten Förderpläne und differenziertes Lernmaterial vorliegen, die ihnen einen individuellen Zugang zu Lerninhalten ermöglichen und an ihre Lernvoraussetzungen anknüpfen, fordert das ISB. So soll selbstständiges Lernen in einem freundlichen Klassenklima gefördert werden. Zur Weiterbildung von Lehrkräften wurden Lehrgänge – etwa bei Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung (ALP) in Dillingen - eingerichtet. Die Lehrgänge finden zumeist Ende der Sommerferien statt und werden im darauf folgenden Frühjahr weitergeführt. Für verschiedene Schultypen und Fächer, wie etwa Inklusion im Musikunterricht, finden spezielle Lehrerfortbildungen statt. Lehrer und Lehrerinnen lernen, wie sie digitale Möglichkeiten für den inklusiven Unterricht nutzen können. Für Beeinträchtigungen und Störungsbilder, wie Sprach-, Rechen- und Lesestörungen, Down-Syndrom, Tourette-Syndrom oder Autismus-Störungen und andere Verhaltensauffälligkeiten, wurden Förderpläne erarbeitet, die Lehrkräften und Sonderpädagogen helfen sollen, gezielte Maßnahmen zu ergreifen. Je nach seinen Möglichkeiten soll so für jedes Kind ein eigenes Lerntempo mit individuellen Wochenplänen und Zielen ermöglicht werden.
Für viele Lehrer und Lehrerinnen klingt das jedoch nach Zukunftsmusik. Von staatlicher Seite wird eher auf sonderpädagogische Stütz- und Förderklassen für Kinder gesetzt, die im normalen Unterricht völlig überfordert sind. Die Konzepte wurden von Schulen und der Jugendhilfe entwickelt, um Kinder und Jugendliche adäquat zu fördern. Dadurch soll eine Reintegration in eine allgemeine Schule oder in eine reguläre Klasse der Förderschule möglich sein. Doch die Schülerzahl in einer Förderschule hat in den letzten zehn Jahren kaum abgenommen. Im Schuljahr 2021/22 besuchten laut Statista in Deutschland rund 332.000 Kinder eine Förderschule. Vor zehn Jahren waren es rund 377.000 Schüler. Dabei befürwortet laut Umfragen eine Mehrheit den gemeinsamen Unterricht in inklusiven Klassen. Für eine Inklusion in Schulen sprachen sich bei einer Umfrage 2019 der Wochenzeitung Die Zeit und der Aktion Mensch 66 Prozent der Befragten aus. Die Aussage, dass Menschen mit und ohne Behinderung in unserer Gesellschaft gleichberechtigt zusammenleben sollten, befürworteten sogar 85 Prozent der Befragten. Nicht nur für die Akzeptanz eines inklusiven Unterricht bleibt also Luft nach oben, auch die finanziellen Rahmenbedingungen für das Inklusionsziel müssen verbessert werden. Sonst dürfte es schwierig werden, genügend neue Lehrkräfte für die großen pädagogischen Aufgaben der Zukunft zu gewinnen.
Wolfram Seipp
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