Anzeigensonderveröffentlichung

Bildung aktuell
Schule

Lehrkräftemangel allerorten

Stunden fallen aus, ausgebildete Lehrer fehlen, kurzfristige Verbesserungen sind nicht zu erwarten

Foto: Adobe Stock

„Es ist eine Katastrophe“, klagt Melanie M* (Name geändert), Mutter eines 14-jährigen Sohnes, der die Städtische Hermann-Frieb-Realschule in der Schwabing Hohenzollernstraße besucht. „Bei meinem Sohn fällt reihenweise der Unterricht aus, weil es an Lehrkräften mangelt. Ob wegen Krankheit oder aus einem anderen Grund, wissen wir nicht.“ Melanie M. zählt die Fächer auf: Religion, Ethik, Mathematik, Deutsch. „Wenn es die letzte Stunde vor Unterrichtsende ist, werden die Jugendlichen nach Hause geschickt. Ansonsten verteilen die Vertretungen Arbeitsblätter oder zeigen Filme.“ Die sechsstufige Realschule ist beileibe kein Sonderfall. Im Gegenteil. In Bayern fehlen überall Lehrerinnen und Lehrer. In allen Regierungsbezirken, in den Städten, auf dem Land.  In allen Schultypen, selbst in der Grundschule. Obwohl dort die Prognose für die Zahl der zu erwartenden ABC-Einsteiger keine Rätsel aufgeben sollte. Der ZDF-Satiriker Oliver Welke rechnete kürzlich vor: „Geburtsdatum der Neugeborenen plus sechs Jahre. Ist ganz einfach.“

Zumindest theoretisch. Zu Schuljahresbeginn hatte der Bayerische Lehrerinnen- und Lehrerverband (BLLV) von 4000 fehlenden Lehrkräfte allein an den Grund-, Mittel- und Förderschulen gewarnt. Während Bayerns Bildungsminister Michael Piazolo nur „einige hundert Lehrer“ zu wenig ausgemacht haben wollte. Die BLLV-Vorsitzende Simone Fleischmann widersprach heftig und warnte: „Es fällt Unterricht aus. Es werden Stunden gestrichen. Kinder werden eher nach Hause geschickt. Hinten und vorne reichen uns die Lehrkräfte nicht für die Regelangebote, geschweige denn für Angebote, die nach dieser anstrengenden Corona-Zeit dringend notwendig wären.“

Im Landkreis Augsburg wurde zu Schuljahresbeginn schon als Erfolg gefeiert, dass für 50 Klassen der Grund- und Mittelschulen in letzter Minute doch noch eine Klassenleiterin oder ein Klassenleiter gefunden werden.

Das grundsätzliche Problem hinter dem derzeitigen Mangel sind immer weniger Anwärter auf den Lehrerberuf. Die Zahl der Lehramtsstudenten hat im vergangenen Jahrzehnt abgenommen – eigentlich kein Wunder angesichts einer bis 2010 leicht schrumpfenden Bevölkerung.

Die Teilzeitquote ist gestiegen

So absolvierten laut dem Statistischen Bundesamt (Destatis) 2021 rund 28.900 Lehramtsstudenten ihre Abschlussprüfungen im Master oder beim ersten Staatsexamen. Zehn Jahre zuvor waren es noch 33.500.

Soweit ist das noch kein genereller Grund zur Sorge, denn schließlich sanken auch die Geburtenzahlen. Was wohl niemand vorausgesehen hatte, dass die Lehrerinnen und Lehrer der „Boomer-Generation“ (zirka 1955 bis zirka 1970) sich allmählich in ihre Pension oder Rente verabschiedeten. So sank die Zahl der Lehrkräfte in Deutschland von 2010 mit rund 764 000 auf 752 000 fünf Jahre später. Doch danach stieg sie wieder erheblich an, bis zu 799.000 im vergangenen Jahr. Klingt gut, hat aber einen Haken: Denn gleichzeitig nahm die Teilzeitquote bei Lehrern zu. In Bayern von rund 50 Prozent im Jahr 2010 auf 59 Prozent im Jahre 2020, wie eine Studie aus dem vergangenen Oktober belegt, die von der SPD-Fraktion im bayerischen Landtag in Auftrag gegeben wurde ¹. Dies ist keine spezifisch bayerische Problematik, sie ist auch in anderen Bundesländern zu beobachten, allerdings niedriger: Der bundesweite Wert lag 2010 bei 51 Prozent. Warum der Wert hierzulande höher liegt, lädt zu Spekulationen ein. Liegt es am Stress, dem die bayerischen Lehrkräfte ausgeliefert sind? Oder am Freizeitwert der Berge und Seen? Zahlen dazu liegen anscheinend keine vor, Spekulation ist müßig.

Lange Rede, kurzer Sinn, es gibt zu wenig Lehramts-Vollzeitprofis, um den Unterricht abzudecken. So ziemlich jedes Kultusministerium hat daraus zwei naheliegende Schlüsse gezogen. Zum einen lässt sich der Unterricht kürzen, zum anderen die Qualifikationsanforderungen an das Lehrpersonal senken.

Zuerst zur Kürzung. Eine einfache Maßnahme, die sozusagen durch den Radiergummi beziehungsweise die „Delete“-Taste realisiert werden kann. Im Ministerium muss nur die sogenannte „Pflichtstundentafel“ reduziert werden. Nach dem Motto: Warum viel Zeit mit Goethes Faust verschwenden, wenn man auch prima ohne dessen Sentenzen durch's Leben kommt. Oder wahlweise: Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie Infinitesimalrechnung gebraucht, warum soll man sich damit abplagen. Für das Erstere hat sich das bayerische Kultusministerium entschieden. Der Tragödie erster Teil, „Faust I“, bis dahin Pflichtlektüre in der gymnasialen Oberstufe, ist ab 2024 nur noch „eine Option“. Wie übrigens auch in Baden-Württemberg. An Integral- und Differentialrechnung hat indes noch kein Ministerium die Axt angelegt – es würde der gemeinsamen Zielsetzung, die MINT-Fächer zu fördern, komplett entgegenlaufen. Schließlich verstand sich die Bundesrepublik immer auch als „Land der Ingenieure“, die für den „Vorsprung durch Technik“ sorgten. „Dichter und Denker“ scheinen hingegen entbehrlich. Mehren sie doch nur unwesentlich das Bruttosozialprodukt.

Zur zweiten Maßnahme, den Einsatz von Quereinsteigern, also Menschen, die zwar studiert haben, aber keinen Lehramtsstudiengang. Dazu zählen etwa Bachelor-Uni-Abgänger, die Germanistik, Physik oder Biologie studiert haben. 

Auch in den Grundschulen fehlen Lehrkräfte. „Stille Beschäftigung“ heißt es dann in der Vertretungsstunde. Foto: Pixabay

Ob sich naturwissenschaftliche Profis an Schulen locken ließen angesichts einer Industrie, die händeringend nach Fachkräften sucht, lässt sich bezweifeln. Bei geistes- oder sozialwissenschaftlich ausgebildeten Akademikerinnen und Akademikern mag die Motivationslage anders sein.

Erschwerend für die Gesamtlage nehmen seit 2014 die Geburtenzahlen wieder zu. „Im Jahr 2011 wurde mit 663.000 Neugeborenen die niedrigste Geburtenzahl seit 1946 registriert. Im Jahr 2020 gab es insgesamt 773.144 Neugeborene“, schreibt Destatis auf seiner Bevölkerungsentwicklungsseite. Die Gründe sind Zuzug aus dem Ausland und eine höhere Geburtenrate bei den Zugezogenen. Im vergangenen September hat die KMK ihre Schülerzahlenprognose bis 2035 veröffentlicht: Die Zahl aller Schülerinnen und Schüler wird demnach von knapp 10,8 Millionen im Jahr 2021 bis 2035 um 921.900 (8,6 Prozent) auf rund 11,7 Millionen steigen, heißt es dort ³. Flüchtlinge aus der Ukraine waren dabei noch nicht berücksichtigt.

„Die Grenzen dicht machen“, wie aus Rechtsaußen-Kreisen zu hören ist, ist indes keine Lösung. Industrie, Handwerk, Gesundheitswesen, im Grunde alle Branchen einschließlich der öffentlichen Verwaltung, haben ebenfalls Probleme, ausreichend Personal zu finden (vgl. Beitrag zum Fachkräftemangel).

Im schulischen Bereich liegen die Ursachen laut KMK in den gestiegenen sozialen Anforderungen, darunter die Notwendigkeit, Ganztagsangebote auszuweiten, ebenso inklusive Konzepte und sozialpädagogische Unterstützung sowie zusätzliche Deutschkurse für die Kinder von Zugezogenen.

Aquise von Hilfskräften gestartet

Der Freistaat hofft, die wachsende Schere zwischen dem schulischen Bildungsauftrag und seinem Bildungsangebot – in Form von Personal – neben der Ausdünnung der Stundentafel und der Akquise von nicht-pädagogischen Lehr- und Hilfskräften auch durch eine Senkung der Teilzeitquote zu beheben. Ein Schuss, der nach hinten losgehen könnte, denn gestresste Lehrer und Lehrerinnen könnten versucht sein, ihren Job komplett an den Nagel zu hängen. Die jüngste Initiative von Ministerpräsident Markus Söder – nämlich das Abwerben von Lehrkräften aus anderen Bundesländern – stößt wenig überraschend auf heftigen Widerstand seiner Amtskolleginnen und Amtskollegen aus dem Rest der Republik.

Interessanter klingen einige Empfehlungen, die in der Rackles-Studie zu finden sind: „angebotserhöhende Maßnahmen“ etwa, also mehr Studienplätze zu schaffen, oder den Lehrern schlichtweg mehr Geld zu zahlen, und zwar schnellstmöglich. Im vergangenen September hatte Ministerpräsident Söder überraschend angekündigt, auch Grund- und Mittelschul-Lehrkräfte mit einem Einstiegsgehalt von A13 auszustatten, so wie ihre Kolleginnen und Kollegen an den Realschulen und Gymnasien. Allerdings erst in der nächsten Legislaturperiode – die Landtagswahlen finden am 8. Oktober 2023 statt.

„Entlastung von nicht-pädagogischen Aufgaben“, lautet ein weiterer Vorschlag Rackles, dem sich die SPD und die Grünen angeschlossen haben. Die Berufsverbände fordern das schon lange. Die Schule wird in Bayern ein Wahlkampfthema werden, so viel ist sicher. Der eingangs erwähnten Mutter eines Schwabinger Schülers ist mit dieser Aussicht hingegen wenig geholfen: „Wir brauchen jetzt kompetente Lehrerinnen und Lehrer und nicht erst in einigen Jahren.“

Horst Kramer

Alle Zahlen vom Statistischen Bundesamt (Destatis), sofern nicht anderweitig gekennzeichnet:

  1. „Lehrkräfteversorgung in Bayern“, Mark Rackles Consulting, Oktober 2022
  2. „Schüler/-innen, Klassen, Lehrkräfte und Absolvierende der Schulen 2012 bis 2021“, Statistische Informationen der Kultusministerkonferenz, Nr. 235, Januar 2023
  3. „Vorausberechnung der Zahlen der Schüler/-innen und Absolvierenden 2021 bis 2035“, Statistische Informationen der Kultusministerkonferenz, Nr. 232, September 2022, Seite 8
Zurück zur Übersicht

Das könnte Sie auch interessieren

Impressum